Die russischen Truppen haben ihre Verteidigungslinien nach dem Rückzug aus der Stadt Cherson am Ostufer des Dnjepr aufgezogen. Die Front verläuft nun entlang des Flusses. Die Oblast Cherson ist somit zweigeteilt in ein ukrainisch kontrolliertes Gebiet im Nordwesten und einen von Russland besetzten Teil im Südosten.
Russland setzt alles daran, das Territorium zu halten – für Präsident Wladimir Putin (70) steht letztendlich nichts Geringeres auf dem Spiel als der Zugang zur annektierten Halbinsel Krim. Die ukrainische Armee will deshalb unbedingt den Dnjepr überqueren und die feindlichen Truppen weiter zurückdrängen. Das ist allerdings ein höchst riskantes Unterfangen. Denn es bleibt ihr praktisch nur der Wasserweg über die Halbinsel Kinburn.
Brücken unpassierbar
Die Antoniwkabrücke nordöstlich der Stadt Cherson ist zerstört. Auch eine Eisenbahnbrücke etwas weiter östlich ist beschädigt. Die Brücke auf dem Kachowka-Staudamm noch weiter flussaufwärts kann nicht befahren werden. Die ukrainischen Streitkräfte hatten sie im Sommer angegriffen, um den russischen Nachschub zu stören. Bei ihrem Rückzug richtete die russische Armee durch kontrollierte Sprengungen weitere Schäden an. Einzig vom Nordosten her könnten die Ukrainer vordringen. Doch das wäre ein grosser Umweg – und ohnehin toben dort bereits heftige Kämpfe.
Anfang Woche veröffentlichte das ukrainische Verteidigungsministerium ein Video, das angeblich Soldaten auf Schlauchbooten zeigt, die den Dnjepr in Richtung Kinburn-Landzunge überqueren. Auch russische Quellen berichteten über den Angriff. Er habe jedoch erfolgreich abgewehrt werden können.
Landeoperation mit strategischem Nachteil verbunden
Zwar sind die ukrainischen Streitkräfte im Besitz von Spezialtechnik wie Schwimmpanzern und mobilen Kriegsbrücken. Doch bei einer solchen Landeoperation ist man strategisch im Nachteil: Um den Krieg auf der anderen Flussseite weiterführen zu können, müssen die ukrainischen Soldaten schweres Geschütz mitbringen. Das gibt der russischen Armee Zeit, sich auf den Angriff vorzubereiten.
Der wunde Punkt der russischen Truppen liegt laut der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) in der Versorgung. Ihnen würden kaum Eisenbahnlinien zur Verfügung stehen. Auch seien in dem Gebiet wenig Strassen vorhanden. Diese bilden laut ISW deshalb Flaschenhälse in der Versorgungskette, die von der Ukraine beispielsweise mit Himars-Raketen einfach getroffen werden können.
Die Front in der Südukraine wird vermutlich für längere Zeit entlang des Dnjepr verlaufen. Auch die deutsche Bundeswehr rechnet nicht mit einem Frontal-Angriff auf die russischen Stellungen östlich des Dnjepr. Brigadegeneral Christian Freuding, Leiter des Sonderstabes Ukraine im Verteidigungsministerium, sagt laut «Spiegel»: «Selbst sämtliche Pionier- und amphibischen Fähigkeiten, die die Nato hat, wären nicht ausreichend, um einen Brückenschlag zu vollziehen.» (noo)