«Das wird langsam lächerlich»
Selenski beharrt auf eigener Theorie

Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski beharrt noch immer darauf, dass russische Raketen in Polen eingeschlagen haben. Die Nato reagiert genervt.
Publiziert: 17.11.2022 um 18:25 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2022 um 19:41 Uhr
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Zwei Personen wurden bei einem Raketeneinschlag in Polen am Dienstag getötet.
Foto: AFP
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Eine Rakete schlug am Dienstag im polnischen Grenzgebiet zur Ukraine ein und tötete zwei Menschen. Die Welt hielt zunächst den Atem an – und dann herrschte Chaos. Es gab Fragen über Fragen: War es eine russische Rakete, mit welcher das Nato-Land angegriffen wurde? Oder doch eine Rakete der ukrainischen Luftabwehr, die sich auf polnisches Territorium verirrt hat? Bange Stunden lang blieben diese Fragen unbeantwortet.

Dann die Erklärung von USA, Nato und Polen: Der Westen geht davon aus, dass letztere Theorie zutrifft; schlussendlich sei allerdings Moskau verantwortlich, wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Anderer Meinung ist der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44). «Ich denke, dass es eine russische Rakete war – gemäss dem Vertrauen, das ich gegenüber den Berichten der Militärs habe», sagte Selenski am Mittwoch. Das sorgt für Kritik.

Ukrainische Lüge schadet Nato-Vertrauen

«Das wird langsam lächerlich»: Die Reaktion eines anonymen Nato-Beamten, mit dem die «Financial Times» gesprochen hat, ist klar. «Die Ukrainer zerstören unser Vertrauen in sie. Niemand gibt der Ukraine die Schuld, und sie lügen ganz offen», sagt er. Und dann sein Urteil: «Das ist noch zerstörerischer als die Rakete.»

Und auch vom US-Präsidenten kommt Widerspruch. «Das ist nicht die Beweislage», sagte Joe Biden (79) am Donnerstag, auf die Aussagen seines ukrainischen Kollegen angesprochen. Ungarn kritisierte die Äusserungen des ukrainischen Staatschefs als unverantwortlich. «Der ukrainische Präsident hat sich geirrt, als er sofort die Russen beschuldigte. Das ist ein schlechtes Vorbild», sagte Gergely Gulyas (41), Stabschef des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban (59).

Henrik Larsen ist Senior Researcher im Team für schweizerische und euro-atlantische Sicherheit am Center for Security Studies (CSS), mit Schwerpunkt Nato und transatlantische Sicherheit. Gegenüber Blick erklärt der Experte: «Wenn sich die vorläufige Einschätzung der Nato bewahrheitet, dass es sich um eine ukrainische Luftabwehrrakete handelte, und wenn dies den Verdacht erwecken könnte, dass die Ukrainer lügen, dann schadet dies natürlich dem Vertrauen, das die Nato-Verbündeten in die Ukraine unter Selenskis Führung setzen.»

Video zeigt Krater am Einschlagsort
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Aufnahmen aus Polen:Video zeigt Krater am Einschlagsort

«Selenski weiss, wie wichtig die Verbündeten sind»

Politik- und Osteuropa-Experte Andreas Umland (55) zeigt sich im Gespräch mit Blick skeptisch: «Entweder widerspricht Selenski den Fakten und es war tatsächlich eine ukrainische Abwehrrakete, oder er sagt die Wahrheit – dann wäre die Nato genervt, weil sie in den Konflikt eingreifen müsste.» Auch Ulrich Schmid (56), Slawist an der Uni St. Gallen, sagt: «Die Nato hat ein grosses Interesse daran, dass es nicht zu einer Eskalation kommt. Die Nato will auf alle Fälle vermeiden, selbst zur Kriegspartei zu werden.»

Umland beschwichtigt aber: Mit einem Streit zwischen der Ukraine und der Nato rechne er nicht. «Kriege sind von nebligen Episoden geprägt – das passiert.»

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