In der russischen Armee brodelt es. Einen Tag nach der Absetzung von Generalmajor Iwan Popow (48), der sich intern bei Verteidigungsminister Sergei Schoigu (68) und Generalstabschef Waleri Gerassimow (67) über die Kriegsführung der Armee in der Ukraine beschwert hatte, steigt die Wut bei den Truppen.
Schoigu und Gerassimow hatten Popows Beschwerden ignoriert, bis dieser schliesslich angeboten hatte, aufgrund der «schwierigen Lage» an der Front, selbst bei Präsident Wladimir Putin (70) vorzusprechen. Daraufhin wurde der Oberbefehlshaber der in der Südukraine stationierten 58. Armee entlassen.
«Ich habe die Aufmerksamkeit auf die grösste Tragödie des modernen Kriegs gelenkt – auf das Fehlen der Artillerieaufklärung und -bekämpfung und die vielfachen Toten und Verletzten durch die feindliche Artillerie», so Popow in einer Sprachnachricht auf Telegram.
«Terrorakt gegen die Moral der Armee»
Nun wird Kritik an Popows Entlassung laut. Andrej Guruljow (55), Duma-Abgeordneter der Putin-Partei «Einiges Russland» und ehemaliger Vize-Chef des Südlichen Militärbezirks der Russischen Föderation, machte sich für ein «Eingreifen des Präsidenten» stark. Guruljow forderte, Popows Entlassung sollte rückgängig gemacht werden.
«In der Führung der Armee finden einige unvorstellbare Prozesse statt, die nur schwer mit Vernunft zu vereinbaren sind», wetterte der Politiker bei Telegram. Die jüngsten Entscheidungen des Generalstabs würden die Moral und Kampfkraft der Armee erheblich schwächen, kritisierte er.
Auch Generaloberst Andrej Kartapolow (59), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Duma, verlangte, die Entlassung Popows rückgängig zu machen. Die von Popow genannten Probleme sollten «anerkannt und mit Massnahmen bekämpft» werden, so Kartapolow. Kriegsreporter Roman Sapankow sieht in Popows Entlassung gar «einen monströsen Terrorakt gegen die Moral der Armee».
Nahm Popow Putin ins Visier?
Popow hatte nach seiner Entlassung gesagt, er stehe mit seiner Fundamental-Kritik an der russischen Militärführung nicht alleine da. Popow: «Unser oberster Befehlshaber ist uns in den Rücken gefallen und hat damit die Armee in der schwierigsten Stunde heimtückisch enthauptet.» Das klingt wie eine direkte Botschaft an Putin, der sich selbst gerne «oberster Befehlshaber der Armee» nennt.
Sollte sich die Armee dafür entscheiden, sich gegen den russischen Generalstab, den Verteidigungsminister und schliesslich auch gegen den Präsidenten zu wenden, könnte es für das Trio Gerassimow, Schoigu und Putin schnell brenzlig werden. Ukraine-Aktivist Igor Sushko (37) glaubt: «Die nächste bewaffnete Rebellion gegen Putin könnte sehr wohl von der russischen Armee selbst angeführt werden».
Ende Juni hatten Gefolgsleute von Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin (62) zeitweise die Stadt Rostow-am-Don besetzt und waren bis an den Stadtrand Moskaus vorgedrungen. Der Söldnerchef warf Verteidigungsminister Schoigu Korruption und Unfähigkeit vor. Aus dem Aufstand wurde schliesslich nichts: Nach Verhandlungen mit Belarus-Machthaber Alexander Lukaschenko (68) kehrten Prigoschins Truppen um.