Darum gehts
Über 3500 Tote und noch unzählige Vermisste in Myanmar: Das Erdbeben vom 28. März hat ein Land getroffen, das sonst schon unter grossem Elend leidet. Seit 2021 ist da die Militärjunta an der Macht. Statt Hilfe zu leisten, bombardiert sie nach dem Erdbeben Stellungen der Rebellen weiter und blockiert internationale Hilfe.
Der Walliser Léon de Riedmatten (73) ist Direktor der Hilfsorganisation «The Border Consortium» in Bangkok, das sich um burmesische Flüchtlinge und Vertriebene an der Grenze von Thailand und Myanmar kümmert. Er erklärt, wie die Katastrophe die Menschen im kaputten und vergessenen Staat, der bis 1989 Burma hiess, gleich mehrfach trifft.
Das Erdbeben mit der Stärke 7,7 hat in Myanmar vor allem die Region Sagaing, die Hauptstadt Naypyidaw und die zweitgrösste Stadt Mandalay erschüttert. Den Betroffenen und Rettern machen starke Regenfälle seit dem Wochenende sowie die enorme Hitze das Leben doppelt schwer.
Allein in Mandalay werden bisher über 2100 Tote gezählt. Der Uno-Nothilfekoordinator Tom Fletcher, der sich in der Stadt aufhält, schreibt auf X: «Erdbeben treffen nicht alle Menschen gleichermassen – die Ärmsten treffen sie am härtesten.»
Regierung bombardiert weiter
Myanmar ist inzwischen zu einem Land der Ärmsten geworden. Seit dem Militärputsch von 2021 ist im einst aufstrebenden Land der Lebensstandard wieder gesunken. Die Gesundheitsversorgung ist schlecht, der Internetzugang eingeschränkt. Es fehlt an sauberem Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten. Nach dem Erdbeben droht eine Hungersnot. Zurzeit brauchen 20 Millionen der 54 Millionen Einwohner Hilfe.
Besonders schlimm: Kaum hatte die Erde aufgehört zu beben, setzte die Militärjunta ihre Luftangriffe auf Rebellen auch im Erdbebengebiet fort. Diese kontrollieren rund 60 Prozent des Landes. Francesco Melara vom Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks), sagt auf ref.ch: «Die Militärjunta ist vor allem mit ihrer Selbsterhaltung beschäftigt.»
Hilfe wird blockiert
Zurzeit sind Hilfsorganisationen aus 26 Ländern im Einsatz, darunter auch China, Russland und Belarus. Wegen des Bürgerkriegs ist ihr Einsatz schwierig und gefährlich. Léon de Riedmatten: «Es gibt Gebiete, in denen das Militär nicht will, dass sich Rettungskräfte aufhalten.» Natürlich, es sind jene Gegenden, in denen die Opposition aktiv ist.
Seit 2004 verfügt Myanmar zwar über ein Frühwarnsystem für Tsunamis, für Erdbeben hat man aber keine Vorkehrungen getroffen. Laut de Riedmatten kommt dazu, dass man nicht wisse, ob das Tsunami-Warnsystem überhaupt funktioniere. «Überall gibt es Stromprobleme. Es ist unberechenbar.»
Nebst der politischen und wirtschaftlichen Lage trifft die leidgeprüfte burmesische Bevölkerung ein weiterer Hammer. De Riedmatten: «US-Präsident Donald Trump hat weltweit die humanitäre Hilfe eingestellt. Das bedeutet für Myanmar, dass etwa 40 Prozent der Hilfe wegfallen. Es ist dramatisch.»
Es fehlen Warnsysteme
Natürlich können Erdbeben überall vorkommen. Allerdings sind andere Länder – meistens solche mit Krisenerfahrung – besser auf Katastrophen vorbereitet. Debbie Dilger, Managerin International Programms Unicef Schweiz und Liechtenstein, erklärt: «Solche Länder verfügen häufig über robuste Frühwarnsysteme, institutionalisierte Notfallpläne und ausreichende Ressourcen.» Länder wie Myanmar hingegen seien oft durch begrenzte staatliche Kapazitäten, geschwächte Infrastruktur, anhaltende Konflikte und eingeschränkten humanitären Zugang geprägt.
Schon ganz anders sieht es mit der Hilfe im benachbarten Thailand aus. De Riedmatten: «Im Gegensatz zum fast mittelalterlichen Myanmar trifft man eine Flugstunde entfernt auf ein System, wo alles funktioniert. Es ist wie Tag und Nacht.»
Der Walliser, der mit seiner Organisation an der Grenze 120’000 burmesische Flüchtlinge in Thailand und 300’000 Vertriebene in Myanmar betreut, rechnet nach dem Beben mit weiteren «Hunderttausenden von Flüchtlingen». Denn wenn die Hilfsorganisationen abgezogen seien, bleibe den leidgeprüften Menschen keine andere Option als die Flucht. De Riedmatten: «Sie haben kein Dach mehr über dem Kopf, kein Wasser – und das alles mitten in einem Bürgerkrieg, den die Welt vergessen hat.»