Statt zu verteidigen, ist die Ukraine in den Angriff übergangen und versucht, die Gebiete der Russen zurückzuerobern. In den ersten zwei Monaten der Operation konnten kleinere Erfolge vermeldet werden. Doch insgesamt läuft die Gegenoffensive schleppend.
Die Truppen von Kreml-Chef Wladimir Putin (70) kontrollieren einschliesslich der bereits 2014 annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim weiterhin mehr als 100'000 Quadratkilometer ukrainischen Staatsgebiets. Doch das könnte sich schon bald ändern. Militärexperte Christian Mölling (50) von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht realistische Chancen für einen Erfolg der Ukraine. «Wenn die Ukrainer es schaffen, durch die erste russische Verteidigungslinie zu kommen, wird die Offensive erfolgreich sein», sagte Mölling den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Es würde reichen, wenn die Truppen «bis zu den quer verlaufenden Versorgungslinien auf Eisenbahn und Strasse in Richtung Melitopol vorstossen», sagte Mölling. «Dann könnten sie das ganze Gebiet bis zum Asowschen Meer mit Artillerie und Raketenartillerie beschiessen. Das Terrain wäre dann für die Russen nicht mehr zu verteidigen», fügte er hinzu.
«Es braucht kein Ende wie in einem Hollywood-Film»
Die «Hauptphase der Offensive» habe noch nicht begonnen, betonte Mölling, die Ukrainer testeten noch «das vorsichtige Vorrücken». Der Militärexperte hält es sogar für möglich, dass die ukrainischen Truppen alle besetzten Gebiete einschliesslich der bereits 2014 annektierten Krim befreien. «Es reicht, wenn sie sich so gut aufstellen, dass es für die Russen nicht mehr möglich ist, den Süden zu halten. Dann müssen sie abziehen», sagte Mölling der Funke Mediengruppe. «Dieser Krieg kann ohne eine Entscheidungsschlacht entschieden werden. Es braucht kein Ende wie in einem Hollywood-Film.»
Laut Mölling geht die Offensive «langsam, aber sicher» voran. Im Westen habe es die falsche Erwartung gegeben, dass die ukrainischen Truppen innerhalb kürzester Zeit bis zum Asowschen Meer vordringen können, sagte er. «Dies war nicht möglich, da der Westen nicht ausreichend die nötigen Waffen geliefert hat.» Dies zeige die «Unbedarftheit westlicher – auch deutscher – Entscheidungsträger in Politik und Regierung».
Die Ukraine brauche mehr von allen bislang gelieferten westlichen Waffensystemen sowie Raketen mit grösserer Reichweite, fügte Mölling hinzu und kritisierte, Deutschland habe bislang immer zu spät geliefert. (AFP/jmh)