Das Verhalten einzelner britischen Regierungsmitglieder sorgte während der Corona-Pandemie immer wieder für Irritationen. Ex-Premier Boris Johnson (58) etwa feierte im Regierungssitz Downing Street trotz der von ihm auferlegten Corona-Restriktionen Partys mit Angestellten.
Auch der damalige Gesundheitsminister Matt Hancock (44) geriet ins Schwitzen, als Bilder einer Überwachungskamera ihm eine Affäre mit einer Mitarbeiterin nachweisen konnten. Die beiden wurden dabei gefilmt, wie sie sich trotz der damals geltenden Abstandsregeln in Hancocks Büro leidenschaftlich küssten.
Nun hat der «Daily Telegraph» mit den «Lockdown-Files» nochmals eine Schippe draufgelegt. Die Zeitung hat über 100'000 private Whatsapp-Nachrichten Hancocks ausgewertet. Diese zeigen eindrücklich, wie damals im britischen Machtapparat Entscheidungen bezüglich Corona-Restriktionen getroffen wurden.
Hancocks Ghostwriterin spielte Chats der Presse zu
Für Hancock ist die Sache besonders bitter. Denn an die Chatverläufe ist die Zeitung nur dank der Ghostwriterin seines Buchs «Pandemic Diaries» gelangt. Isabel Oakeshott (48), die gemeinsam mit Hancock das Buch verfasst und dafür vom Minister Einblick in seinen Kommunikationsverlauf erhalten hatte, stellte die Nachrichten aus regierungsinternen Whatsapp-Gruppen dem «Daily Telegraph» zur Verfügung. Damit fiel sie Hancock in den Rücken und brach gleich noch eine Geheimhaltungsvereinbarung.
Die «Lockdown-Files» bieten einiges an Zündstoff. Unzählige Massnahmen wie beispielsweise Kontaktbeschränkungen oder die Maskenpflicht an Schulen wurden von Beamten und Ministern teils auf einer dünnen wissenschaftlichen Basis oder aus rein politischen Gründen getroffen.
Es gebe keine «robuste Logik», gibt eine Ministerin offen zu, um die maximalen sozialen Kontakte auf sechs Personen inklusive Kinder zu begrenzen. Trotzdem wurde wenig später genau das beschlossen. Das gleiche auch bei der Maskenpflicht. Laut wissenschaftlichen Beratern der Regierung habe es damals weder für noch gegen das Tragen von Masken in Schulen klare Argumente gegeben.
Schlussendlich ordnete Boris Johnson die Massnahme dennoch an. Offenbar soll er dies aber nur getan haben, weil vor ihm bereits die schottische Regionalpräsidentin Nicola Sturgeon (52) so entschieden hatte und er nicht allein dastehen wollte.
Behörden sollen mit «harter Hand» durchgreifen
Um sicherzugehen, dass die Bevölkerung sich auch tatsächlich an die Regelungen hält, ordnete die Regierung strenge Kontrollmechanismen an. Mit «harter Hand» sollten die Behörden laut Hancock bei Verstössen durchgreifen. Gemäss den Chatverläufen schienen sich die hohen Tiere in der britischen Regierung richtiggehend daran zu ergötzen, als ein von Dubai zurückgekehrtes englisches Ehepaar in der Folge mit 20'000 Pfund (22'500 Franken) gebüsst wurde. «Wunderbar», antwortete Boris Johnson auf die Nachricht.
Auch die Quarantäne-Hotels, mit denen Reisende aus gewissen Ländern von einer Einreise nach Grossbritannien abgehalten wurden, sorgten für Gelächter. «Wie viele haben wir denn heute schon eingesperrt?», wollte etwa Johnsons Sekretär Simon Case wissen.
So richtig ernst schienen die Entscheidungsträger die von ihnen selbst beschlossenen Restriktionen aber nicht zu nehmen. Johnson kosteten seine Partys am Regierungssitz im vergangenen Sommer das Amt. Auch Hancock sah sich nach der peinlichen Enthüllung seiner Affäre gezwungen, zurückzutreten. Wie tief er inzwischen gefallen ist, zeigte kürzlich seine Teilnahme an der britischen Version des «Dschungelcamps». (ced)