Benjamin Netanyahu (74) hat es in diesen Tagen nicht leicht. Der Ministerpräsident war im israelischen Volk aufgrund der umstrittenen Justizreform schon vor dem Hamas-Grossangriff auf Israel am 7. Oktober nicht gerade beliebt. Weiteren Schaden nahm sein Image, weil Geheimdienste und Armee die Vorbereitungen der Terroristen auf den Überfall weitestgehend verschlafen hatten und die nationale Sicherheit am Tag des Angriffs offensichtlich nicht gewährleistet war.
Die Israelis sind sauer. Am Wochenende versuchten Demonstranten in ein Haus Netanyahus einzudringen. Zuvor hatten sie Netanyahus Rücktritt gefordert. Drei Protestler wurden festgenommen. Damit nicht genug, schalten sich jetzt auch noch zwei ehemalige Ministerpräsidenten des Landes in die Debatte um die Offensive im Gazastreifen ein.
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Netanyahu läuft die Zeit davon
Ehud Olmert (78), von April 2006 bis März 2009 israelischer Ministerpräsident, geht davon aus, dass sich Netanyahu mit der Offensive verkalkuliert. Netanyahu befinde sich am Rande eines «Nervenzusammenbruchs», sagte Olmert in einem Interview mit «Politico». «Er ist emotional zerstört, das ist sicher», bemerkte Olmert, um dann zur Generalkritik auszuholen: «Jede Minute, in der er Premierminister ist, stellt er eine Gefahr für Israel dar. Ich meine es ernst.»
Von Netanyahus Plan, die Kontrolle über den Gazastreifen zurückzuerlangen, hält Olmert nichts. «Es liegt nicht im Interesse Israels, die Sicherheit von Gaza zu überwachen», stellte der Ex-Regierungschef fest. Für eine Phase danach fehle es völlig an Planung. Die Geduld der westlichen Verbündeten mit Netanyahu sei am Ende.
Schutz der Zivilbevölkerung hat Priorität
Diese Ansicht vertritt auch Ehud Barak (81), der von 1999 bis 2001 die Geschicke des Landes als Ministerpräsident leitete. Er geht davon aus, dass Israel nur noch wenige Wochen Zeit hat, um die Hamas zu eliminieren. Dann werde sich die öffentliche Meinung – vor allem in den USA – ändern, sagte er ebenfalls im Gespräch mit «Politico».
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US-Präsident Joe Biden (80) wies in der vergangenen Woche auf die Notwendigkeit einer «humanitären Pause» hin. US-Aussenminister Antony Blinken (61) machte diese Woche ähnlich Druck und drängte Netanyahu dazu, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen Priorität einzuräumen.
Umfragewerte am Boden
Die Unterstützung des Westens wird laut Barak aufgrund der Zahl der zivilen Todesopfer im Gazastreifen und der Angst vor einer Ausweitung des Nahost-Konflikts zunehmend schwächer. Immer mehr Forderungen nach einer Waffenruhe würden laut. «Wir verlieren die öffentliche Meinung in Europa und in ein oder zwei Wochen werden wir beginnen, Regierungen in Europa zu verlieren», prognostizierte Barak.
Netanyahus Umfragewerte sind seit dem Terrorangriff auf einem Tiefpunkt angekommen. Mit der Offensive versucht er sein angekratztes Image als «Mr. Security», wie Ehud Olmert es ausdrückt, aufzupolieren. Die Forderungen nach einer Waffenruhe werde er nicht ewig ignorieren können. Der Gaza-Krieg entwickelt sich für den israelischen Ministerpräsidenten immer mehr zu einem persönlichen Nervenkrieg, der ihn am Ende auch noch sein Amt kosten könnte.