Verlieren die USA an Einfluss? Trotz Warnungen will Netanyahu den Gazastreifen besetzen
Biden stösst in Israel auf taube Ohren

Zwar setzt Israel auf die Hilfe der USA, will sich aber bei der Offensive im Gazastreifen nicht dreinreden lassen. US-Präsident Joe Biden ist besorgt, denn es geht auch um seine Wiederwahl.
Publiziert: 08.11.2023 um 17:33 Uhr
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US-Präsident Joe Biden entgleitet die Kontrolle über den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu.
Foto: Anadolu via Getty Images
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Guido FelderAusland-Redaktor

Erst noch umarmten sich US-Präsident Joe Biden (80) und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74) auf dem Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv herzlich. Nun scheinen jedoch Meinungsverschiedenheiten die Freundschaft zu trüben. Denn wenn es um die Offensive im Gazastreifen geht, hört Israel nicht auf die besorgte Stimme aus Washington. 

Benjamin Netanyahu hat trotz Warnungen aus den USA fest die Absicht, den Gazastreifen zu besetzen. Er hat angekündigt, nach dem Krieg für eine «unbestimmte Zeit die Gesamtverantwortung für die Sicherheit» des Palästinensergebietes übernehmen zu wollen. 

Israel hatte den Gazastreifen schon 1967 nach dem Sechstagekrieg besetzt und sich 2005 zurückgezogen. Diese Woche ist die israelische Armee zur Hauptstadt Gaza vorgestossen. Ihr Ziel: die Hamas-Terroristen eliminieren, die beim Überfall auf Israel am 7. Oktober rund 1400 Menschen niedergemetzelt haben, sowie die verschleppten Geiseln befreien. 

USA will keine Wiederbesetzung

Mit Beunruhigung beobachten die Amerikaner den militärischen Vorstoss. Als Zeichen der Unterstützung für Israel und als Drohkulisse für den Gegner haben sie zwar Flugzeugträger und Kampfjets ins Gebiet geschickt. Doch in Telefonaten mit Netanyahu fordert US-Präsident Joe Biden (80), dass Israel seine Militäraktionen in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht durchführe. Bisher sind im Gazastreifen laut den palästinensischen Gesundheitsbehörden über 10’000 Palästinenser ums Leben gekommen, darunter viele Zivilisten.

Am G7-Gipfel in Tokio sagte US-Aussenminister Antony Blinken (61) am Mittwoch, was es für «dauerhaften Frieden und Sicherheit» brauche: «Keine Wiederbesetzung des Gazastreifens nach Beendigung des Konflikts, kein Versuch, den Gazastreifen zu blockieren oder zu belagern, keine Verkleinerung des Gebiets von Gaza.»

US-Muslime drohen Biden

Denn in der US-Regierung befürchtet man, dass die israelische Offensive zu einem Flächenbrand in der ganzen Region führen könnte. Die Milizen im Libanon, Jemen und in Syrien haben sich bereits in Stellung gebracht und Israel mehrmals angegriffen. 

Der demokratischen US-Regierung geht es aber noch um etwas anderes: die Wiederwahl Bidens. In einem offenen Brief drohte der Nationale Rat muslimischer Demokraten dem Präsidenten, ihm die Stimmen zu verweigern, wenn er im Gazastreifen keine Waffenruhe durchsetze. In den USA leben rund 3,5 Millionen Muslime, deren Stimmen vor allem in den von Demokraten und Republikanern umkämpften Swing States entscheidend sein könnten. 

Kein automatisches Mitbestimmungsrecht

Bruce Riedel (70), Nahost-Experte bei der Washingtoner Denkfabrik Brookings, erklärt den schwindenden Einfluss der USA in der «Washington Post» so: «Wir haben eine israelische Regierung, die der Aussenwelt nicht zuhört, und einen israelischen Premierminister, dessen Rückhalt in der Bevölkerung stark gesunken ist und der verzweifelt versucht, einen Weg zu finden, im Amt zu bleiben, indem er den harten Kerl spielt.»

Claudia Brühwiler (41), USA-Expertin an der Uni St. Gallen, hält es für schwierig, Netanyahu von seiner Haltung abzubringen. «Denn Israel führt diesen Krieg allein – und die USA haben kein Interesse daran, dass sich das ändert.»

Brühwiler relativiert allerdings den bisherigen Einfluss der USA. So hätten die Amerikaner insbesondere auf die Siedlungspolitik keinen Einfluss nehmen können. Auch bei der Entwicklung zur Atommacht sei es den USA nicht gelungen, Israel zu stoppen.

«Zwar verbindet die beiden Länder seit 75 Jahren eine besondere Beziehung», so Brühwiler weiter. «Aber israelische Staatsführer verfolgen die nationalen Interessen nicht immer im Sinne der USA.» Die USA unterstützen Israel jährlich mit 3,8 Milliarden Dollar. Doch damit sei eben kein automatisches Mitbestimmungsrecht verbunden. 

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