«Die Gefahr einer weiteren Eskalation ist massiv gestiegen»
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Experte zum Spital-Angriff:«Gefahr einer weiteren Eskalation ist massiv gestiegen»

Israels Premier beschuldigt seine Geheimdienste – und muss sich entschuldigen
Netanyahu kämpft auch an seiner eigenen Front

Im Netz greift Israels Ministerpräsident die eigenen Geheimdienste und Armee an. Sie hätten die Gefahr eines Angriffs durch die Hamas unterschätzt. Er selber sei nie gewarnt worden. Der Post sorgt für Empörung. Benjamin Netanyahu (73) löscht ihn und entschuldigt sich.
Publiziert: 31.10.2023 um 01:30 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2023 um 09:54 Uhr
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Israels Premierminister Benjamin Netanyahu (73) beim Empfang des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (65) am 17. Oktober 2023. Eine Woche später wird ein Internet-Post des Premiers für einen Shitstorm sorgen.
Foto: imago/UPI Photo
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Mit nüchternen Worten verkündet Benjamin «Bibi» Netanyahu in einer Pressekonferenz am Samstag die «Phase zwei» des Krieges. Während Panzer und Truppentransporter über in den Gazastreifen rollen, kämpft der israelische Ministerpräsident auch an einer ganz persönlichen Front.

Anlass ist die Frage eines Journalisten. Es geht um angebliche Dokumente, die vor dem 7. Oktober 2023 bereits vor einem Angriff der Hamas warnten. Warum, will der Reporter eines Armeesenders wissen, hat Netanyahu diese Briefe, die ihm die Geheimdienste doch vorgelegt hatten, ignoriert? Netanyahu weist alle Schuld von sich. Er sei nie gewarnt worden.

«Lügnerische Behauptungen»

Auf der Online-Plattform X schreibt der Premier in der Nacht auf Sonntag von «lügnerischen Behauptungen». Sämtliche Sicherheitsvertreter, einschliesslich des Militärgeheimdienstchefs und des Chefs des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, hätten die Situation falsch eingeschätzt.

Der Post sorgt für einen Shitstorm. Man dürfe in diesem Krieg nicht die Armee beschmutzen, so die Kritik. Empört zeigten sich der Ex-Präsident des Parlaments, Benny Gantz (64), der frühere Generalstabschef Gadi Eisenkot (63) und Oppositionsführer Yair Lapid (59). Netanyahu krebst zurück, löscht den Post und entschuldigt sich.

Reingewaschen ist Netanyahu damit nicht. Denn Warnungen hat es offenbar gegeben. So habe Ägypten zehn Tage vor dem Hamas-Massaker den israelischen Geheimdienst gewarnt. Das sagte ein Mitarbeiter des ägyptischen Geheimdienstes gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press. Der oberste Chef, General Abbas Kamel, habe Netanyahu zehn Tage vor dem Angriff persönlich gesagt, dass die Hamas etwas Schreckliches plane. Warnungen aus Kairo bestätigt auch Texas US-Republikaner Michael McCault (61), Vorsitzender des US-Kongressausschusses für auswärtige Angelegenheiten.

Warnungen gab es viele

Wochen vor dem 7. Oktober 2023 meldeten Soldatinnen an der Grenze zu Gaza verdächtige Handlungen jenseits des Zauns. Alle Alarme wurden ignoriert. Und das seit Jahren. Bereits 2016 legte der damalige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman (64) Netanyahu einen elfseitigen Bericht vor, in dem genau beschrieben wurde, was die Terroristen sieben Jahre später umsetzen würden. Der Premier wischte damals das Papier zur Seite.

Im März 2023 warnte auch Verteidigungsminister Joav Gallant (64) öffentlich davor, dass Massendemonstrationen wegen der umstrittenen Justizreform einen Überraschungsangriff aus Gaza provozieren könnte. Netanyahu entliess daraufhin Gallant – musste ihn aber auf Druck von aussen wieder ins Kabinett lassen. Im Juli, kurz vor der Abstimmung zur Justizreform im Parlament, sucht Generalstabschef Herzi Halevi (55) ein Gespräch zu aktuellen Sicherheitsrisiken. Netanyahu weist ihn ab.

Die vielen Fehler des Premiers

Netanyahu habe eine ganze Reihe von Fehlern gemacht, die schliesslich zu der Katastrophe führten, sagt der ehemalige israelische Luftwaffengeneral und Ex-Geheimdienstchef Amos Yadlin (71) im Interview mit Politico. «Neun Monaten lang hat er Israel in eine innenpolitische Krise getrieben, die alle Energie beanspruchte. Die ganze Aufmerksamkeit war nach innen und nicht nach aussen gerichtet», so der Experte. Das habe Israels nationale Sicherheit geschwächt.

Zudem habe der Premier 2011 im Austausch für eine israelische Geisel Hunderte von Hamas-Kämpfern freigelassen. «Netanyahu meinte, die Hamas sei nicht gefährlich, man könne mit ihr leben», das sei eine Fehleinschätzung gewesen.

Seit dem Massaker an den israelischen Zivilisten kündigt der Premier eine lückenlose Aufklärung zum Totalversagen der Sicherheitsbehörden an. «Alle werden nach dem Krieg Antworten geben müssen – auch ich», versichert Netanyahu. Wie seine Antwort aussehen wird, bleibt abzuwarten.

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