Auf einen Blick
Für Europa wirds brenzlig. Wie Donald Trumps (78) Vize J.D. Vance (40) an der Münchner Sicherheitskonferenz über Europa gewettert hat, macht Angst. Er kritisierte die angeblich schwindende Demokratie und die mangelnde Sicherheit in Europa und äusserte Sympathien für die rechte AfD.
Europa scheint der neuen US-Regierung so egal zu sein, dass sie den alten Kontinent nicht einmal in den Friedensprozess für die Ukraine einbezieht. Am Montag reisten US-Aussenminister Marco Rubio (53) und sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow (74) nach Saudi-Arabien, um da über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg erste Gespräche über die Ukraine zu führen.
Aufgeschreckt ob diesen deutlichen Ansagen, stellten europäische Staats- und Regierungschefs innerhalb nur eines Tages auf Montag ein Spitzentreffen in Paris auf die Beine. Es geht um die Zukunft Europas und die Frage, wie wir uns ohne die USA gegen Russland verteidigen können. Wird hier das Schicksal Europas bestimmt?
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47) hatte am WEF in Davos und an der Münchner Sicherheitskonferenz ein düsteres Szenario für Europa gemalt. Putin plane die Verlegung von grossen Truppen ins Nachbarland Belarus – wohl nicht nur als Übung, sondern um weitere Länder anzugreifen.
Da die USA als Partner abtreten, forderte Selenski in seinem Land eine europäische Friedenstruppe von mindestens 200’000 Soldaten sowie eine eigene europäische Armee. Der britische Premierminister Keir Starmer (62) hat für eine Friedenstruppe bereits zugesagt. Eine Absage kam dagegen aus Polen.
Schnell eine eigene Armee
Für die Experten ist klar: Europa muss sich definitiv von den USA emanzipieren und sich auf eigene Beine stellen. Ralph D. Thiele (71), Vorsitzender der deutschen Politisch-Militärischen Gesellschaft und Präsident von EuroDefense Deutschland, sagt gegenüber Blick: «Wir Europäer brauchen als Nachbarn Russlands und der Ukraine dringend eine stabile Nachbarschaft.» Es werde daher höchste Zeit, nicht nur US-Vorstellungen hinterherzujagen, sondern einen eigenen Plan zu entwickeln und den mit amerikanischen Überlegungen zu verbinden.
Thiele plädiert dafür, umgehend und mit grosser Priorität «den Weg zu einer leistungsfähigen europäischen Streitmacht» einzuschlagen. Wie soll das gehen? «Es gibt schon jetzt vereinzelte exzellente Truppen und Waffensysteme in europäischen Staaten. Diese kann man in einer europäischen Führungsstruktur bündeln.»
Bündeln müsse man auch Innovation, denn moderne Technologien wie Drohnen, Künstliche Intelligenz, Weltraum- und Informationstechnologien brächten «den Krieg und seine Möglichkeiten mit Sieben-Meilen-Stiefeln derzeit und in den kommenden Jahren in eine neue Leistungsklasse». Zu lange habe man sich auf «Dinosauriersysteme» wie Panzer, Flugzeuge und Schiffe fokussiert, was die europäischen Fortschritte über Jahrzehnte gelähmt habe.
Friedenstruppe sinnlos
Von Friedenstruppen ohne Einbindung Russlands und der Ukraine hält Thiele nichts. Bei einer europäischen Truppe ist zurzeit die Rede davon, dass Frankreich 10’000 sowie Italien, Grossbritannien und Deutschland je 5000 Soldaten beisteuern könnten. Thiele: «Das ist nicht mehr als eine Truppe mit Stacheldraht-Funktion. Solche Zahlen dürften Russland kaum vor einem weiteren Waffengang abschrecken.»
Laut Philipp Adorf (40), USA-Experte an der Universität Bonn, wird sich Europa auch in ferner Zukunft nicht mehr auf die USA verlassen können. «Europas Bedeutung in der US-Aussenpolitik wird weiter abnehmen, nicht zuletzt aufgrund seiner schwindenden wirtschaftlichen Relevanz auf globaler Ebene.» Selbst nach der Ära Trump sei es unwahrscheinlich, dass die USA in zukünftigen europäischen Konflikten substanzielle militärische Unterstützung leisten würden.
«Es braucht ‹grosse Europäer›»
Ob der Gipfel in Paris ein Grundstein für ein eigenständiges Europa ist? Thiele ist skeptisch. Er bedauert, dass Finnland nicht eingeladen worden ist, das den Russen bisher erfolgreich die Stirn geboten habe. Über den Gipfel sagt er: «Da die europäischen Akteure nicht gewechselt haben, muss man leider wie bisher Uneinigkeit und symbolische Gesten befürchten.» Tatsächlich waren sich die Vertreter am Montag gerade beim Thema Friedenstruppe nicht einig.
In einer neuen Weltepoche, in der das Recht des Stärkeren über der Stärke des Rechts stehe, müssten wir uns in Europa auf einen wirtschaftlichen und auch einen sicherheitspolitischen Abstieg gefasst machen.
Thiele folgert: «Die EU braucht jetzt dringend ‹grosse Europäer›, die unseren Kontinent einen und weiterbringen können.» Und er hat auch einen Namen: «Vielleicht hätte die ehemalige estnische Premierministerin und heutige Vize-EU-Kommissionspräsidentin Kaja Kallas das Format dazu.»