Stärker als Heroin und tödlicher als Fentanyl. Die auch als «Frankenstein-Droge» bezeichneten Nitazene werden künstlich im Labor hergestellt, um die Wirkung von Opioiden wie Heroin zu imitieren. Sie sind billig in der Herstellung und werden deshalb häufig mit anderen Drogen gemischt – mit teilweise tödlichen Folgen.
Im vergangenen Sommer waren Nitazene in Grossbritannien Gegenstand einer nationalen Warnung. Laut einem aktuellen Bericht der Zeitung «The Sun» wird die «Frankenstein-Droge» im Königreich mit dem Tod von 49 Menschen in Zusammenhang gebracht. In der irischen Hauptstadt Dublin starben im letzten Monat innerhalb von 36 Stunden 40 Heroinabhängige an einer Überdosis, nachdem Nitazene in den örtlichen Drogenhandel gelangt waren.
Gefährliche Lähmung des Atmungssystems
Von der «Frankenstein-Droge» gibt es verschiedene Varianten mit unterschiedlicher Wirksamkeit. Entwickelt wurden Nitazene in den 1950er-Jahren vom Schweizer Pharmaunternehmen Ciba. Dessen Forscher waren auf der Suche nach einer sichereren Alternative zu Morphium, das – wie Heroin – aus Schlafmohn gewonnen wird. Morphium ist für sein Suchtpotential bekannt und dafür, dass es die Atmung lähmt.
Die Ciba-Forscher stellten fest, dass Nitazene bei Mäusen als Schmerzmittel sehr effektiv sind. Wie Joe Schwarcz, Chemieprofessor an der McGill-Universität im kanadischen Montreal, gegenüber dem US-Nachrichtensender News Nation erklärt, stellte sich jedoch heraus, dass das Sicherheitsprofil beim Menschen noch schlechter ist als bei Morphium. Insbesondere die noch stärkere Unterdrückung des Atmungssystems stellt dabei ein Problem dar. Nitazene kamen deshalb nie auf den Markt.
Einbruch der Schlafmohn-Produktion in Afghanistan
Das Heroin auf dem westlichen Schwarzmarkt stammt mehrheitlich aus Afghanistan. Die dort herrschenden Taliban verboten im April 2022 den Anbau von Schlafmohn. Die Produktion ist laut Uno-Angaben seither um 95 Prozent eingebrochen. Dies führte zu einem Boom bei den synthetischen Opioiden wie Fentanyl, das vor allem in den USA verbreitet ist und für unzählige Todesfälle durch Überdosis verantwortlich gemacht wird. Wie die Entwicklung in Grossbritannien und Irland zeigt, greifen Drogenhändler nun vermehrt auch auf Nitazene zurück, um die Nachfrage zu decken.
Einige Wirkstoffe aus der Klasse der Nitazene führen bei geringeren Dosen als bei Fentanyl bereits zu Atemstillstand. Dies kann vornehmlich dann gefährlich werden, wenn der Stoff als Streckmittel vor dem Verkauf einer anderen Droge beigemischt wird – und die Konsumenten sich deshalb des Risikos gar nicht bewusst sind. Drogenhilfsorganisationen sind zudem überzeugt, dass die synthetischen Opioide auch für andere gesundheitliche Schäden verantwortlich sind.
«Ich habe Löcher in meinen Beinen»
Der britische Nachrichtensender Sky News befragte angesichts der zunehmenden Verbreitung der Nitazene unlängst Drogenkonsumenten in London und wollte von ihnen wissen, ob sie in letzter Zeit Veränderungen bei den Symptomen ihres Drogenkonsums feststellten. Eine 23-Jährige berichtet Erschreckendes: «Ich habe Löcher in meinen Beinen», sagt sie. «Da ist keine Haut, nur Löcher. Es ist schmerzhaft.» Sie sagt, die seltsamen Löcher in ihrem Fleisch seien erst in den letzten Monaten aufgetreten. Weshalb dem so sei, wisse sie nicht. «Ich sehe Menschen, die Blut husten. Ich sehe, wie Menschen sterben», berichtet ein Crack-Konsument.
Im Falle einer Opioid-Überdosis kann das Gegenmittel Naloxon gespritzt werden, das einen tödlichen Kollaps des Atmungssystems verhindert. Naloxon wirkt auch bei Nitazenen. Die britischen Behörden betonen deshalb die Wichtigkeit, Drogenkonsumenten über die Behandlungsmöglichkeit zu informieren. Eine im August in der medizinischen Fachzeitschrift «Jama Network» veröffentlichte Studie zeigt, dass im Falle einer Überdosis mit Nitazenen eine doppelte oder dreifache Dosis im Vergleich zu Fentanyl nötig ist.