Nach Deutschland und Schweden warnen nun auch die Briten vor einem Krieg in Europa. Armeechef Patrick Sanders (57) vergleicht die Situation in der Ukraine mit 1914 und 1937 und fordert die Briten auf, sich auf einen Krieg in der Grössenordnung der Konflikte des 20. Jahrhunderts einzustellen.
Man dürfe in der Ukraine nicht die gleichen Fehler wiederholen, als man die Tragweite der Krisen vor den beiden Weltkriegen nicht erkannt habe, sagte Sanders an einer Panzer-Ausstellung in London. «In diesem Krieg geht es nicht nur um die schwarze Erde im Donbas oder um die Wiedereinrichtung eines russischen Imperiums, sondern um die politische, psychologische und symbolische Niederlage unseres Systems und unserer Lebensweise.»
Wie ernst muss man all diese Warnungen nehmen? Dan Smith (72), Direktor des Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm, ordnet die Lage ein.
Blick: Minister und Armeechefs mehrerer Staaten warnen vor Krieg in Europa. Malen auch Sie so schwarz?
Dan Smith: Nein. Viel ist Rhetorik. Die Regierungsmitglieder versuchen, die Menschen zu ermutigen, mit der veränderten Situation Schritt zu halten. Wir befinden uns an einem Ort, an dem wir uns aus guten Gründen sicher fühlten und an dem sich jetzt die Situation verändert hat. Ich halte die Rhetorik in einigen Fällen für übertrieben.
Der Brite Dan Smith (72) ist seit 2015 Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri). Zuvor arbeitete er unter anderem als Direktor des International Peace Research Institute in Oslo, als Generalsekretär von International Alert und als Friedensberater bei der Uno. Das Sipri ist eines der renommiertesten Forschungsinstitute für Frieden. Bekannt ist es unter anderem für seinen jährlichen Bericht zu den internationalen Rüstungsausgaben. Es wurde 1966 durch die schwedische Regierung gegründet und beschäftigt rund 100 Mitarbeiter. 1982 erhielt das Sipri den Unesco-Preis für Friedenserziehung.
Der Brite Dan Smith (72) ist seit 2015 Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri). Zuvor arbeitete er unter anderem als Direktor des International Peace Research Institute in Oslo, als Generalsekretär von International Alert und als Friedensberater bei der Uno. Das Sipri ist eines der renommiertesten Forschungsinstitute für Frieden. Bekannt ist es unter anderem für seinen jährlichen Bericht zu den internationalen Rüstungsausgaben. Es wurde 1966 durch die schwedische Regierung gegründet und beschäftigt rund 100 Mitarbeiter. 1982 erhielt das Sipri den Unesco-Preis für Friedenserziehung.
Als wie gross erachten Sie die Gefahr eines Krieges in Westeuropa?
Wir sind weit davon entfernt, dass Westeuropa in einen grösseren Krieg involviert wird. Ich denke, dass zuerst sehr viel schieflaufen müsste.
Es heisst, dass Russland als Erstes die baltischen Staaten angreifen würde…
Die russische Regierung würde ein grosses Risiko eingehen, wenn sie militärisch gegen die Nato-Mitglieder vorginge. Wenn es zu mehr Feindseligkeiten kommen sollte, erwarte ich zuerst mehr Sabotage und Desinformation.
Warum brechen gerade jetzt weltweit so viele Konflikte und Kriege aus?
Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Seit sich die russische Politik 2008 gewandelt hat, tritt der Kreml in der internationalen Politik viel selbstbewusster und durchsetzungskräftiger auf. Weiter spielen auch die Wirtschaftskrise 2007/2008 und die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie eine Rolle. Dazu kommt der Druck der Umweltveränderung, insbesondere des Klimawandels. Wir haben es mit einer Art perfektem politischem, sozioökonomischem und ökologischem Sturm zu tun, bei dem wir, die Welt, die Leidtragenden sind.
Welchen Konflikt erachten Sie als den gefährlichsten?
Die verheerendsten Auswirkungen weltweit hätte ein Konflikt, der noch nicht zu einem offenen Krieg geworden ist und es hoffentlich auch nie wird. Ich meine den Konflikt um Taiwan. Hier könnten die beiden Grossmächte USA und China direkt aufeinanderprallen.
Wie sieht es mit der Ukraine und Nahost aus?
Enorme Gefahren für die Welt birgt natürlich auch der Ukraine-Krieg, wo einer der Involvierten über ein nukleares Waffenarsenal verfügt. Abgesehen von den Kriegsopfern kann dieser Krieg auch massive Umweltschäden und Hunger zur Folge haben. Auch den Gaza-Krieg halte ich für extrem gefährlich. Er könnte in der Region eskalieren und bedeutende Auswirkungen auf den Welthandel haben. Die grosse Gefahr besteht darin, dass Kriege an einem Ort Kriege an andern Orten auslösen können.
Sie befassen sich seit Jahren mit Friedensforschung. Sagen Sie, wie kommt man aus solchen verfahrenen Situationen wie in der Ukraine heraus?
Ich wünschte, ich könnte eine Lösung aus dem Hut zaubern. Aber DIE Lösung gibt es nicht. Es gibt nur die Möglichkeit, die Art des Problems zu ändern und zu versuchen, es zu minimieren und so gut wie möglich damit zu leben. Möglichkeiten für eine Veränderung sind zum Beispiel, dass es zu einer für beide Seiten schädlichen Pattsituation kommt, die beide Parteien ermutigt, miteinander zu reden. Zu einem Resultat führen könnte aber auch ein Meinungswandel oder ein Führungswechsel in einem oder beiden Ländern.
Es bleibt also kaum etwas anderes übrig, als abzuwarten?
Zeit ist tatsächlich ein sehr wichtiger Faktor. Und es braucht generell pragmatischere, ausgewogenere und sicherere Beziehungen zwischen dem Westen und Russland. Man muss verschiedene Themen behandeln wie etwa das gemeinsame Vorgehen bei einer neuen Pandemie, die Bekämpfung von Kriminalität und Klimawandel sowie die Frage, wie man eine Destabilisierung von Grenzregionen zwischen Europa und Russland verhindern kann.
Was braucht es, um auf der Erde einen dauerhaften Frieden zu erreichen und zu erhalten?
Wir waren zwischen 1990 und 2010 auf gutem Weg dazu. Die Militärausgaben weltweit sind nach unseren Berechnungen von 1,5 Billionen Dollar auf rund 1 Billion im Jahr 2000 gesunken. Inzwischen sind sie auf über 2,2 Billionen Dollar angestiegen. Damals wurden in nie dagewesenem Tempo abgerüstet und Friedensvereinbarungen getroffen. Grund dafür war, dass die Uno und der UN-Sicherheitsrat nach dem Kalten Krieg relativ einheitlich agieren konnten.
Und heute?
Wir haben mit den vielen UN-Organisationen eigentlich einen guten Ausgangspunkt. Jetzt müssen wir noch einen Weg finden, wie der Westen und China zu einer pragmatischen Beziehung finden – auch Russland müsste miteinbezogen werden. Ich sage nicht, dass wir Freunde werden müssen. Aber wenn wir uns da in einer Arbeitsbeziehung gegenseitig näher kommen, wird sich die Welt verändern.
Glauben Sie, dass bei einem Krieg auch die Schweiz in Gefahr wäre?
Die Schweiz befindet sich – gerade nachdem sich die Grenze von Europas Hauptgegner nach Osten verschoben hat – zwar in einer geostrategisch recht sicheren Lage. Wenn in Europa aber ein konventioneller oder nuklearer Krieg ausbrechen würde, wäre die Schweiz auf eine Art und Weise betroffen, die viel, viel tiefgreifender wäre, als es im Zweiten Weltkrieg der Fall gewesen ist.
Schweden galt als neutrales Land, nun tritt es der Nato bei. Wie beurteilen Sie die Neutralität der Schweiz?
Es gibt verschiedene Arten von Neutralität. Es kann bedeuten, dass man sich zurückzieht, sich distanziert, sich um nichts kümmert. Es kann aber auch heissen, dass man sich beteiligt und sich ums Völkerrecht kümmert. Ich sehe die Schweiz als Fussball-Schiedsrichter, der involviert und engagiert ist und sich an die Regeln hält.
Wie kann eine Person, wie kann ich persönlich zu Frieden beitragen?
Der Umgangston ist gerade auch wegen der sozialen Medien aggressiver geworden. Ein Algorithmus sorgt dafür, dass wir uns in Blasen mit andern wütenden Menschen gegenseitig hochschaukeln. Es lohnt sich, sich mit seinen eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen und darüber nachzudenken, wie man eine Brücke zu andern Menschen bauen kann, die Probleme oder eine andere Sichtweise haben. Als Einzelner kann ich die Welt zwar nicht retten, aber ich kann meinen Teil dazu beitragen.