Für die Ukraine wirds eng. Die USA haben die Lieferung von militärischer Ausrüstung und Waffen eingestellt. Und das ausgerechnet jetzt, wo die Angriffe der Russen zunehmen und der Bedarf auch wegen der kalten Jahreszeit besonders gross ist.
Aber auch für ganz Europa könnte es gefährlich werden. Donald Trump (77), mit grossen Chancen, im November wieder zum US-Präsidenten gewählt zu werden, denkt offenbar nicht daran, Europa bei einem allfälligen Angriff der Russen zu helfen. Das könnte dramatische Folgen haben.
Laut dem französischen EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton (68) hat Trump 2020 am WEF in Davos zu EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (65) gesagt: «Sie müssen verstehen, dass wir niemals kommen werden, um Ihnen zu helfen und Sie zu unterstützen, wenn Europa angegriffen wird.» Das gab Breton diese Woche bekannt.
Zudem hat Trump schon früher die Nato scharf kritisiert. Es gibt Befürchtungen darüber, dass er einen Austritt aus dem Bündnis anstreben könnte, um Geld zu sparen.
In Europa geht die Angst um, dass der russische Präsident Wladimir Putin (71) weitere Länder angreifen könnte. So sagt der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (63): «Am Ende des Jahrzehntes könnten Gefahren auf uns zukommen.» Und der schwedische Zivilverteidigungsminister Carl-Oskar Bohlin (38) warnte am letzten Wochenende: «Es könnte Krieg in Schweden geben.»
Europa braucht die USA
Wären die europäischen Staaten stark genug, um sich alleine ohne die USA zu verteidigen? Militärexperte Marcel Berni (35) spricht von einer hypothetischen Frage. Er sagt: «Inwieweit sich Europa ohne amerikanische Unterstützung gegen Russland verteidigen könnte, ist derzeit nicht absehbar.»
Konkreter ist Politikwissenschaftler Hubert Zimmermann (59), Experte für internationale Beziehungen an der Universität Marburg. Laut ihm ist eine Emanzipation von den USA noch in weiter Ferne. Gegenüber der «Frankfurter Rundschau» sagte er: «Europa wäre ohne die USA nicht in der Lage, sich zu verteidigen.»
Angesichts Putins Drohungen spiele auf einmal wieder nukleare Abschreckung eine Rolle. «Aber auf diesen Gebieten ist die EU stark von den USA abhängig», sagt er. Militärisch, technologisch und bei der Einsatzfähigkeit ihres Militärs seien die US-Truppen gegenüber den europäischen Armeen weit überlegen. Die Abhängigkeit von Washington werde noch lange fortbestehen – mindestens ein Jahrzehnt.
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Wegen der Bedrohung in ganz Europa wird in vielen Ländern nach Aufrüstung gerufen. Thierry Breton fordert einen europäischen Verteidigungsfonds in der Höhe von 100 Milliarden Euro. «Auf unserem Kontinent herrscht Krieg, wir müssen uns wieder bewaffnen», sagt er.
Muss Ukraine verhandeln?
Die ausbleibende US-Hilfe dürften die Ukrainer schon bald massiv zu spüren bekommen. Marcel Berni sagt: «Die USA haben das meiste Material und Munition geliefert und auch die westliche Hilfe koordiniert. Fällt diese Unterstützung weg, kann Europa das nicht kompensieren.»
Die wichtigste verbleibende Gruppe aktiver Geber sind laut dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel Länder wie Deutschland, Finnland, Irland, Kroatien, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden, die Schweiz, Grossbritannien und Kanada.
Wenn die Vereinigten Staaten ihre Hilfe definitiv einstellen, werden wahrscheinlich auch andere Länder dasselbe tun, schätzt Berni. «Die Ukraine würde also an Schlagkraft verlieren. Kiew könnte sich daher mittelfristig sogar gezwungen sehen, Putin Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren», meint Berni.