Wie gut ist es doch Wladimir Putin (70) gelungen, die Welt zu täuschen. Noch wenige Tage vor Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 glaubten viele nicht daran, dass er mit einer Invasion Ernst machen würde. Oder wollten es, trotz eindeutiger Warnungen, nicht glauben.
So etwa Yves Rossier (62), ehemaliger Schweizer Botschafter in Russland. Im Blick-Interview am 20. Februar sagte er: «Ich glaube nicht, dass es dazu kommt. Und es ärgert mich, wenn die amerikanische und englische Presse die Gefahr einer russischen Invasion an die Wand malen.» Über die Warnungen der amerikanischen «Newsweek» und des britischen «Daily Telegraph» schimpfte er, dass die Zeitungen ihm vorkämen «wie eine Sekte, die immer wieder das Ende der Welt verkündet».
Die deutsche ehemalige Linken-Chefin Sahra Wagenknecht (53) verteidigte Putin bis zuletzt: Er sei kein «durchgeknallter, russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben», behauptete sie vor der Invasion.
Auch der Bundesrat hatte den russischen Präsidenten falsch eingeschätzt – oder wollte sich seine Wirtschaftspolitik nicht durch dessen Säbelrasseln vermiesen lassen. Noch im Januar – nur sechs Wochen vor der Invasion, als die russische Armee bereits in Belarus aufmarschierte – gab er bekannt, dass er mit einer Absichtserklärung eine nähere Zusammenarbeit mit Russland in der Agrarwirtschaft beschlossen habe.
Hoffnung bis zuletzt
Der Kreml leugnete seine Invasionspläne bis zuletzt. Putin sagte eine Woche vor seinem Kriegsbefehl: «Wir sind bereit, den Weg der Verhandlungen zu gehen.» Und in Washington beschwichtigte Anatoli Antonow (67), russischer Botschafter in den USA: «Es gibt keine Invasion, und es gibt auch keine solchen Pläne.»
Bis zuletzt versuchte vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron (45), einen Krieg zu verhindern. Vier Tage vor der Invasion fand ein intensives Telefongespräch zwischen Paris und Moskau statt. Darauf hiess es aus dem Élysée-Palast, dass sich US-Präsident Joe Biden (80) und Wladimir Putin im Prinzip einverstanden erklärt hätten, einen Gipfel abzuhalten und sich der amerikanische und russische Aussenminister am Donnerstag dazu beraten wollten.
Dazu kam es nicht. Als Putin am Abend des 21. Februar die Unabhängigkeit der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk anerkannte und ausrief, wussten auch die letzten Zweifler, dass dies der Vorwand für einen Krieg sein musste und dass eine Invasion definitiv bevorstand.
USA und Grossbritannien warnten
Davor hatten vor allem die Amerikaner und Briten mit ihren gut informierten Geheimdiensten bereits seit Wochen gewarnt. So sagte US-Präsident Joe Biden sechs Tage vor Kriegsbeginn eindringlich, dass Putin «in den kommenden Tagen» zuschlagen werde. Dabei würden sich die Russen keineswegs mit der Ostukraine zufriedengeben. Biden damals: «Wir glauben, dass sie die ukrainische Hauptstadt Kiew angreifen werden, eine Stadt mit 2,8 Millionen unschuldigen Einwohnern.»
Auch damalige britische Premierminister Boris Johnson (58) rechnete drei Tage vor der Invasion ebenfalls mit dem Schlimmsten. In einem BBC-Interview sagte er: «Ich muss leider sagen, dass der Plan, den wir sehen, vom Ausmass her etwas ist, was wirklich der grösste Krieg in Europa seit 1945 sein könnte.» Er befürchtete, dass Russland einen Vorfall inszenieren würde, um in einer Zangenbewegung Kiew einzukreisen.
Wie recht Biden und Johnson hatten. Am Donnerstag, 24. Februar, um 4 Uhr morgens (Schweizer Zeit), blies Putin zum Angriff auf die Ukraine. Wer an einer Invasion gezweifelt hatte, musste kleinlaut zugeben, dass er sich geirrt hatte. Yves Rossier kommentierte seine Fehleinschätzung kurz nach Kriegsausbruch gegenüber Blick: «Mir erschien eine begrenzte Aktion als denkbar. Aber sicher nicht das, was jetzt läuft.»