Frachtpreise haben sich verzehnfacht – Transporteure ärgern sich
Halten Reedereien Schiffe mit Absicht zurück?

Als ob die Situation mit den Lieferengpässen nicht schon prekär genug wäre: Internationale Reedereien sollen Schiffe bewusst zurückhalten, um die Preise noch weiter steigern zu können. Dieser Vorwurf kommt nicht nur vom Verband Handel Schweiz.
Publiziert: 14.10.2021 um 17:15 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2021 um 17:51 Uhr
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Containerschiffe sind gefragt wie nie. Sie reichen nicht aus, um alle bestellten Waren zu transportieren.
Foto: keystone-sda.ch
Guido Felder

Ob Gas, Holz, Kleider oder die für Autos und elektronische Geräte so wichtigen Halbleiter: Weltweit herrscht zurzeit eine noch nie dagewesene Knappheit an Gütern. Grund sind die nach der Pandemie massiv angestiegene Nachfrage sowie die unterbrochenen Lieferketten auf Land und See.

Europäische Transportverbände gehen mit den Reedereien hart ins Gericht. Sie werfen ihnen vor, die Notsituation auszunützen und ihre Schiffe bewusst zurückzuhalten, um die Transportpreise noch weiter in die Höhe zu treiben. Kaspar Engeli (57), Direktor von Handel Schweiz, sagt gegenüber Blick über die Reedereien: «Gewisse führen eine Preispolitik wie früher die Opec beim Erdöl. Sie spielen taktische Spiele.»

Preise haben sich verzehnfacht

Auch der deutsche Bundesverband Grosshandel, Aussenhandel, Dienstleistungen (BGA) übt Kritik. Patrik Marquardt, Abteilungsleiter Verkehr und Logistik, sagt auf Anfrage zu Blick: «Wir erleben, dass die knappen Schiffe und Container von Reedereien dort eingesetzt werden, wo auch am meisten bezahlt wird. Dies führt durchaus auch zu Verschiebungen bei Routen.»

Die Kosten pro Seefrachtcontainer hätten sich gegenüber der Zeit vor der Krise bis ums Zehnfache erhöht. Sie lägen inzwischen bei 8000 bis 12'000 US-Dollar. Marquardt: «Häufig bekommt man Transporte nur noch für sogenannte Priority-Raten, die dann noch einmal um rund 2000 Dollar höher liegen.»

Ein Dorn im Auge ist dem BGA, dass die Reedereien von einer sogenannten Gruppenfreistellungsverordnung profitierten, die eine enge Zusammenarbeit zwischen Reedereikonsortien bei der gemeinsamen Nutzung von Schiffsraum und der Koordinierung von Fahrten ermöglicht. Marquardt: «Besonders kritisch wird es in den Fällen, in denen die Frachtkosten den Wert der transportierten Ware massiv überschreiten oder aber der Lieferant die zusätzlichen Kosten aus eigener Tasche zahlen muss.»

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Beschwerde bei der EU

Die hohen Preisforderungen der Reedereien sind auch ein politisches Thema. Der europäische Speditionsverband Clecat und der europäische Industrieverband European Shippers’ Council haben schon Anfang Jahr bei der Europäischen Kommission Beschwerde eingelegt.

Die beiden Verbände kritisieren, dass als Preis für die Annahme einer Fracht eine zusätzliche Gebühr bezahlt werden müsse. Weiter heisst es in der Beschwerde: «Ebenso werden Verlader und Spediteure damit konfrontiert, dass ihre Transporte verschoben werden, wenn andere Speditionen höhere Frachtraten bieten.»

Auch Gas gedrosselt?

Vorwürfe, die aktuelle Situation auszunützen, gibt es auch gegen russische Gasproduzenten, die die Gaslieferungen nach Europa um bis zu 50 Prozent drosseln wollten. Die «Zeit» spricht von einem «schmutzigen Spiel», um Druck auf die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 auszuüben.

Russland wies stets zurück, seine Lieferungen vermindert zu haben. Am Mittwoch versprach Präsident Wladimir Putin (69) sogar, den Hahn weiter aufzudrehen: «Wenn sie uns fragen, ob wir unsere Lieferungen erhöhen, sind wir bereit, das zu tun.»

Biden befiehlt Arbeit rund um die Uhr

In den USA macht inzwischen Präsident Joe Biden (78) massiv Druck auf die Transporteure. Er zwingt sie, rund um die Uhr zu arbeiten und schliesst auch eine Intervention nicht aus. «Wenn Unterstützung auf Bundesebene erforderlich ist, werde ich alle geeigneten Massnahmen ergreifen», sagte Biden. Der Präsident stellt in Aussicht, dass die Engpässe mit einem «90-Tage-Sprint» beseitigt werden könnten.

Auch in der Schweiz könnte die wirtschaftliche Landesversorgung im Notfall eingreifen, so wie sie es während des Lockdowns zweimal unter anderem mit einer Aufhebung des Nacht- und Sonntagsfahrverbots für Lastwagen gemacht hat. Im Moment aber, so heisst es auf Anfrage beim Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, sei nichts geplant.

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