Nur wenige kennen und verstehen die Weltwirtschaft so gut wie der Niederländer Jan-Egbert Sturm (52). Der Ökonom leitet die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH-Zürich und ist seit Februar 2021 Vizepräsident der Corona-Task-Force des Bundes. Im Videocall beantwortet er die drängendsten Fragen zu den Lieferturbulenzen an den Weltmärkten.
Blick: Die Lieferengpässe plagen die Weltwirtschaft nun schon eine ganze Weile. Was ist der Grund dafür?
Jan-Egbert Sturm: Die Probleme haben zwei fundamentale Gründe. Einerseits haben viele Firmen in der Pandemie die Produktion heruntergefahren. Das Ausschalten geht schnell und zügig, das Wiederhochfahren dagegen ist schwieriger. Denn es müssen Prozesse angeschoben und Lieferketten wieder aufeinander abgestimmt werden.
Und der zweite Grund?
Andererseits hat sich die Nachfrage der Konsumenten in der Pandemie verschoben, von Dienstleistungen, die nicht mehr möglich waren, hin zu Konsumgütern, die wir auch wirklich kaufen konnten. Der Nachfrageboom in dieser Güterwelt ist ungebrochen hoch, da hinkt die Produktion noch hinterher.
Wie gefährlich sind diese Lieferengpässe?
Die grösste Gefahr besteht im Moment darin, dass die Engpässe die wirtschaftliche Erholung abbremsen. Deshalb haben wir unsere Wachstumsprognose für die Schweiz in diesem Jahr auf 3,2 Prozent reduziert. Dafür wird die Erholung mit 3,6 Prozent im nächsten Jahr kräftiger ausfallen.
Das heisst, das ist ein temporäres Phänomen?
Ja, aber es kann schon noch einige Monate dauern, bis die Lieferengpässe beseitigt sind. Das hat ein gewisses Frustpotenzial für Konsumenten.
Was braucht es, damit die Lieferketten wieder störungsfrei funktionieren?
Es hilft, wenn sich die Nachfrage wieder etwas zurück zu den Dienstleistungen verschiebt. Das haben wir Konsumenten ein Stück weit selbst in der Hand. Wir könnten allmählich wieder mehr auf Reisen oder ins Restaurant gehen – anstatt schicke Möbel oder das neuste Mobiltelefon zu kaufen. Wenn alle gleichzeitig das gleiche Gadget wollen, dann führt das zu Engpässen, obwohl die globale Produktion schon wieder auf Hochtouren läuft.
Droht das Weihnachtsgeschäft ins Wasser zu fallen?
Es kann schon sein, dass dieses Jahr etwas mehr Gutscheine für noch zu liefernde Waren unter dem Weihnachtsbaum liegen als sonst.