Weihnachten ist noch ein Weilchen hin. Doch der Tag, an dem man durch die vollgestopfte Altstadt hetzt, um für die Liebsten noch ein originelles Geschenk zu ergattern, wird schneller kommen als erwartet.
Wer die Angewohnheit hat, Geschenke in letzter Minute zu besorgen, sei gewarnt: 2021 könnte es ins Auge gehen. Wer zu spät kommt, muss unter Umständen damit rechnen, das gewünschte Produkt nicht mehr vorzufinden.
«Unser Rat an die Kundinnen ist, frühzeitig zuzugreifen, wenn die Ware verfügbar ist», sagt ein Sprecher von Manor, der grössten Warenhauskette der Schweiz. Bei der Migros-Tochter Digitec Galaxus, grösste Online-Händlerin des Landes, klingt es ähnlich: «Steht die Wunschliste für Weihnachten bereits, lohnt es sich, die Geschenke frühzeitig zu bestellen.»
Der Grund für diese Ermahnung sind globale Lieferengpässe. Das kaum durchschaubare, fein abgestimmte Räderwerk, das normalerweise den weltweiten Handel in Gang hält, hat Sand im Getriebe. Durch staatliche Corona-Massnahmen sind in den vergangenen Monaten immer neue Wirtschaftsbereiche aus dem Takt geraten.
Velos fehlen, Holz wird teuer
Das geht auch an den Schweizer Händlern nicht spurlos vorbei. «In den Migros-Filialen haben wir im Haushaltsbereich, bei den Spielwaren und Textilien teilweise mit grösseren Lieferverspätungen zu kämpfen», sagt ein Sprecher des orangen Riesen. Bei den Bikes von SportXX sei die Lage weiterhin angespannt. Do it + Garden wiederum habe aufgrund der weltweit erhöhten Nachfrage nach Holz massive Preiserhöhungen hinnehmen müssen.
Auch Digitec Galaxus ist gefordert. «Der Engpass betrifft unterschiedliche Produktgruppen und wechselt laufend», sagt ein Sprecher. Waren es im Frühjahr noch die Grafikkarten, seien es nun die Drucker. «Es sind nicht nur Privatkunden, sondern auch viele Firmen, die auf ihre Geräte warten.» Sogar Produkte wie Babyphones, Hörspielboxen, Staubsauger oder Kaffeemaschinen seien von der Knappheit betroffen.
Bei Manor bereiten ähnliche Produktkategorien Probleme. Im Bereich Fashion und Spielwaren werde man zwar keine grösseren Schwierigkeiten haben, versichert ein Unternehmenssprecher. Bei Druckern, Spielkonsolen, Kaffeemaschinen, bestimmten Smartphones oder Notebooks seien die Schwierigkeiten dagegen spürbar.
Die Gründe für die Turbulenzen sind vielschichtig. Für die Lieferverzögerungen bei Haushalts- und Elektronikgeräten ist vor allem die sogenannte Halbleiter-Krise verantwortlich, also der weltweite Mangel an Mikrochips.
Eine Folge der Digitalisierung
Halbleiter sind heutzutage für fast alle technologischen Produkte unabdingbar. «Selbst Rasenmäher und Kaffeemaschinen kommen heute nicht mehr ohne Computerchips aus, von Autos und E-Bikes ganz zu schweigen», sagt Wolfgang Stölzle (58), Professor für Logistikmanagement an der Universität St. Gallen (HSG).
Doch der technologische Wandel ist nicht der einzige Grund. Das staatlich verordnete Homeoffice hat die Nachfrage nach Heimelektronik zusätzlich erhöht. Und weil sich die Autoindustrie vom Corona-Schock schneller erholte als gedacht, suchen auch Toyota, Volkswagen und Co. wieder händeringend nach Halbleiterproduzenten – nachdem sie im Frühjahr 2020 die Bestellungen gestoppt hatten.
«Das Angebot ist der Nachfrage momentan schlicht nicht gewachsen», so Stölzle. Und es werde noch Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis sich hier ein neues Gleichgewicht eingestellt habe. «Zusätzliche Produktionskapazitäten können nicht von heute auf morgen aufgebaut werden.»
Das zweite grosse Problem ist das Chaos in der internationalen Logistik. Da wegen Corona-Infektionswellen immer wieder Häfen geschlossen und zeitweise ganze Länder dichtgemacht wurden, ist der internationale Warenverkehr durcheinandergeraten. «Die Frachtschiffe sind nicht dort, wo sie sein sollten», sagt Michael Lustenberger, Logistikexperte an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Auch in Amerika stauts
Vor und in US-Häfen wie Los Angeles stauen sich Frachtschiffe, weil man mit der Abfertigung nicht nachkommt. Sind die Container geleert, können sie nicht gleich wieder in den USA beladen werden – in China sind währenddessen zu wenige verfügbar. Lustenberger: «Von Ost nach West gibt es derzeit viel zu wenig Kapazitäten. Die Folge sind höhere Frachtpreise – und das werden auch die Konsumenten in der Schweiz zu spüren bekommen.»
Der Ursprung von alledem liegt im Frühling 2020, als wegen Corona zahlreiche Häfen und Fabriken den Betrieb einstellen mussten. «Für die eng verzahnte Weltwirtschaft war das ein Schock, der bis heute nachwirkt», sagt Stölzle.
Die Schweizer Händler sind trotz allem bemüht, keine Panik aufkommen zu lassen. Man habe in den vergangenen Monaten grosse Lager angelegt, betonen sie unisono. Weihnachten sei deshalb nicht in Gefahr. Stellvertretend für viele andere das Statement von Manor: «Man kann sicher nicht sagen, dass das Weihnachtsgeschäft jetzt ins Wasser fällt!»
Dennoch schiebt der Sprecher gleich hinterher: «Eventuell müssen die Kundinnen auf ein anderes Modell eines gewünschten Produkts ausweichen.»
Es sind Aussagen, die man in der Schweiz nicht gewohnt ist. Nicht zuletzt durch den Online-Boom hat sich auch bei den hiesigen Konsumenten eine klare Erwartungshaltung entwickelt: heute bestellt, morgen geliefert.
Dieses Versprechen kann derzeit nicht mehr immer und überall eingehalten werden.