Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bekommen in der Schweiz einen eigenen Schutzstatus. Denise Efionayi-Mäder (60) ist Vizedirektorin beim Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM) der Universität Neuenburg und ordnet für Blick ein.
Die Migrationsforscherin sieht den Entscheid des Bundesrates positiv, Ukraine-Flüchtlinge mit dem neuen Schutzstatus S unkompliziert aufzunehmen: «Die Schweiz hat aus Fehlern gelernt, die man während der Balkankriege gemacht hat.»
Damals habe man unterschätzt, wie lange sich der Krieg hinziehen kann, liess die Geflüchteten lange in einer Art Warteschlaufe und setzte erst spät auf Integration. «Man dachte, die sind schnell wieder weg», so Efionayi-Mäder.
«Es gibt keine ‹besseren› oder ‹echteren› Geflüchteten»
Bei Flüchtlingen aus der Ukraine ist es anders: «Dass die Leute von Beginn an arbeiten dürfen, ist sehr wichtig. Auch wenn es viele nicht so schnell können. Unter den Geflüchteten sind bisher hauptsächlich Frauen mit Kindern, die vorerst nicht alle arbeiten möchten oder können. Deshalb sind auch Betreuungsplätze wichtig.»
Ein zweiter zentraler Punkt sei, dass sich Ukrainer frei im Schengen-Raum bewegen können. «Etwa um Verwandte zu besuchen», so Efionayi-Mäder.
Ebenfalls positiv: dass die Kriegsflüchtlinge mitbestimmen können, in welchen Kanton sie kommen. Wer in die Nähe eines Verwandten in der Schweiz ziehen kann, habe einen «Riesenvorteil».
Einziger Kritikpunkt von Efionayi-Mäder: Der neue Schutzstatus verschafft den Flüchtlingen aus der Ukraine mehr Rechte als anderen. «Man darf nicht vergessen, es gibt keine ‹besseren› oder ‹echteren› Geflüchteten. Alle sind schutzbedürftig. Viele Flüchtende dürfen nicht arbeiten oder ihre Verwandten im Ausland besuchen. Das könnte in der Wahrnehmung zu einer Art Rangordnung der Geflüchteten führen.»
Viele wollen schnell zurückkehren
Die grosse Solidarität erklärt die Soziologin mit der räumlichen Nähe des Ukraine-Krieges und den politischen Auswirkungen, die auch bei uns spürbar sind. «Das ist wahrscheinlich menschlich», sagt sie. Ein weiterer Aspekt sei, dass es vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen sind, die sich auf den Weg nach Westeuropa machen. «Diese stossen tendenziell auf mehr Wohlwollen.» Aber: Der Effekt könne auch schnell verpuffen, wenn die Männer nachkommen. «Das ist etwas, das wir auch während der Balkankriege beobachten konnten, wo zuerst Familien kamen und später junge Männer.»
Dass man den Schutzsuchenden aus der Ukraine nun direkt mehr Teilhabe gewährt, muss laut Efionayi-Mäder übrigens nicht heissen, dass sie nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren. «Ich gehe davon aus, dass viele so schnell wie möglich zurückwollen, aber das hängt von der Entwicklung in der Ukraine ab», sagt sie. Gerade deswegen sei es wichtig, dass man den Flüchtlingen die Möglichkeit gebe, ihre Fähigkeiten beruflich und menschlich zu entfalten, wie es mit dem neuen Status eben möglich sei.