Auf einen Blick
- Europa droht sicherheitspolitische Schieflage. Länder ergreifen Massnahmen gegen Bedrohungen
- Dänemark plant massive Aufrüstung
- Trump kündigte mehrfach an, Grönland kaufen zu wollen
Europa droht, in eine sicherheitspolitische Schieflage zu geraten. Die USA verhandeln direkt mit Russland, Kiew muss sich auf Gebietsverluste einstellen und Donald Trump (78) kündigte an, Grönland kaufen zu wollen. Das Verständnis von Bedrohung unterscheidet sich innerhalb Europas jedoch stark, wie Remo Reginold (39), Direktor des Swiss Institutes for Global Affairs (SIGA), im Gespräch mit Blick betont. Es gibt sogenannte «Front- und Hinterländer», die die Bedrohungen unterschiedlich beurteilen.
Vor allem die Frontländer scheinen jetzt Massnahmen zu ergreifen, um sich zu schützen. Blick zeigt, wie Europa den Gefahren trotzen will und ob diese Bestrebungen nachhaltig sind.
Finnland
Finnland, das eine 1340 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, befindet sich mit seinen Sicherheitsbemühungen im europäischen Vergleich an vorderster Front. Mit einem 200 Kilometer langen Zaun, einer starken Artillerie und gut geschulten Soldaten arbeitet Finnland akribisch daran, sein Land im Ernstfall gegen Russland zu verteidigen. Der Zaun, der noch in Arbeit ist, soll nun früher als geplant fertig werden, wie die finnische Nachrichtenagentur «Yle» berichtet. Die jüngsten Entwicklungen dürften den Bau entscheidend beschleunigt haben, schreibt das Medium.
Baltikum
Sogenannte «Frontländer», wie es die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind, spüren die russische Bedrohung im Nacken. Die grosse Angst der Länder: ein US-Truppenabzug. Trump äusserte zwar mehrmals, «nicht alle Truppen» abziehen zu wollen, dennoch schliessen europäische Sicherheitsxperten diesen Schritt nicht aus. Jetzt soll die Luftverteidigung entscheidend optimiert werden.
Weiter sensibilisieren die Staaten ihre Bürger mittels Veranstaltungen und Checklisten konkret dafür, was im Kriegsfall zu tun ist.
Dänemark
«Ich kann nicht mehr sagen, dass wir uns in Friedenszeiten befinden», sagte Ministerpräsidentin Mette Fredriksen (47) am Mittwoch an einer Pressekonferenz in Dänemark. Die Regierungschefin sieht das dänische Militär nicht dafür gerüstet, angemessen auf eine Kriegsbedrohung zu reagieren. Anders als andere Länder, schaut Dänemark aber nicht nur in Richtung Russland. Auch die USA rücken in das Blickfeld des skandinavischen Landes. Wiederholt hat US-Präsident Donald Trump angekündigt, Grönland kaufen zu wollen. «Dänemark will aufrüsten, um Abschreckung zu signalisieren», erklärt Remo Reginold.
Und weiter: «Aufgrund der geografischen Lage war Dänemark immer schon ein Frontland», so der Experte. «Zudem ist Dänemark Mitglied im Arktischen Rat, wo die Zusammenarbeit aktuell sehr schwierig ist, da Russland ebenfalls Mitglied ist.» Ein weiterer Grund für die Aufrüstung kommt laut dem Experten aus China: «China hat grosses Interesse an der Arktis und kann via Russland seine Interessen durchdrücken.»
Polen
Nach der Trump-Wahl will Polen verstärkt für seine eigene Sicherheit sorgen und sich für einen möglichen Truppenabzug wappnen. Hierzu lancierte das Land das Abwehrsystem «Ostschild». Das neue Waffensystem umfasst Panzer- und Drohnenabwehrstellungen sowie physische Hindernisse wie Betonblöcke. Ein hoher Grenzzaun wird die erste Barriere bilden, gefolgt von Stacheldraht. Danach folgen Drohnenabwehrsysteme, Minen und Gräben sowie Bunker.
Laut Reginold, der selber an der Münchner Sicherheitskonferenz zugegen war, ist der generelle Tenor in Europa tatsächlich, dass man aufrüsten muss. «Hoher Input heisst aber noch nicht besserer Output. Die entscheidende Frage ist: Wo kommt das Geld her, wo müsste man sparen, wenn das Verteidigungsbudget hochgefahren wird. Dieser Diskussion verweigern sich die Länder.»
Grossbritannien
Britische Soldaten liegen in schneebedeckten Gräben, besprechen Taktiken und fassen Ausrüstung. Wie der britische «Telegraph» in einer Reportage zeigt, planen die Soldaten des Vereinigten Königreichs im Rahmen einer grossangelegten Nato-Übung namens «Unerschütterlicher Pfeil» den Ernstfall. Sie üben den Umgang mit Granaten, Platzpatronen und Munition.
Das Bündnis scheint eine klare Botschaft an den Kreml auszusenden. Dabei geht es vor allem um Abschreckung, so Reginold. In der Eskalationslogik gehe es zuerst um Abschreckung und dann erst in zweiter Linie um Verteidigungsfähigkeit. «Ich frage mich nur, ob es nicht schon zu spät ist für diese Abschreckungslogik, da der Aufbau von Rüstungsinfrastrukturen und Verteidigungsbereitschaft Jahre dauern dürfte», bemerkt der SIGA-Direktor.