Auf einen Blick
Die Ukrainer haben in den vergangenen drei Jahren gegen vieles gekämpft: russische Sturmtruppen, iranische Drohnen und nordkoreanische Soldaten. Dass man dereinst auch einen Angriff aus dem Weissen Haus würde abwehren müssen, damit hätte in Kiew aber niemand gerechnet.
Doch in Kriegen ist es wie im Fussball: Man muss sich für ein Team entscheiden. Das hat Donald Trump (78) jetzt getan. Er stürmt – mindestens rhetorisch – für Moskau und pöbelt in Hooligan-Manier gegen den «Diktatoren» in Kiew (so hat er Präsident Wolodimir Selenski (47) am Mittwoch bezeichnet).
Seinen Anfang nahm das Drama, als Trump am Dienstag behauptete, die Ukraine hätte «den Krieg halt nie anfangen» sollen. Selenski korrigierte den Amtskollegen in Washington, woraufhin Trump Selenski postwendend als «Diktatoren» beschimpfte, der schleunigst Neuwahlen durchführen lassen sollte. Sonst werde er «bald kein Land mehr zu regieren» haben.
Trumps irre Neuwahlforderung
Damit übernimmt Trump ungefiltert die russische Behauptung, Selenski sei seit dem 20. Mai 2024 (dem Datum für die geplanten Präsidentschaftswahlen) nicht mehr legitimer Präsident. Dass das ukrainische Recht vorschreibt, dass es im Kriegsfall keine Wahlen geben dürfe, verschweigt er.
Was also will Trump? Einen raschen Deal mit den Russen, um sich als Friedensstifter inszenieren zu können? Den Zugang zu den ukrainischen Bodenschätzen, den ihm Selenski nicht einfach so geben will?
Klar ist: Trump blendet Russlands Kriegsgräuel grosszügig aus. Die Meuchelmorde von Butscha, die Massengräber von Izium, die 148'000 getöteten Ukrainerinnen und Ukrainer, die mehr als 20'000 entführten Kinder. Für nichts davon soll sich Wladimir Putin (72) verantworten müssen.
Blick-Reporter berichtete mehrmals von der Front
Ich war seit Kriegsbeginn fünf Mal in der Ukraine und habe den Horror, den Putins Truppen über das Land bringen, hautnah miterlebt.
Christina (31), die junge Mutter, die in der inzwischen gefallenen Stadt Toretsk mit ihren drei Mädchen Darina (8), Sophia (4) und Maia (2) monatelang in einem knapp anderthalb Meter hohen Kellerverlies ausharrte, weil sie nicht wollte, dass ihre Kinder von den russischen Bomben zerschmettert werden.
Die alte Frau im Dorf Drobyschewe, das die Ukraine im Herbst 2022 von den Russen zurückerobert hatte, die uns ihren Namen nicht nennen wollte, weil sie meinte, wir könnten sie an die Russen verraten und dann würde sie «wieder gefoltert» werden.
Die Schweizerin Eva Samoylenko (43), deren Kinderheim in der Donbass-Stadt Slowjansk von den Russen kaputtgebombt wurde.
Trump interessieren diese Menschen nicht. Ihn interessiert nur Putin, dem er schon beim Zusammentreffen in Helsinki 2018 ein Mega-Geschenk machte. Damals sagte er, was die Vorwürfe der Wahlmanipulation durch Moskau angehe, glaube er lieber Putin als der CIA.
Seine jüngste Drohung gegen die Ukraine meint Trump zweifellos ernst. Schon 2019 liess er 400 Millionen Dollar an Militärhilfe für die Ukraine einfrieren, weil sich der frisch gewählte Selenski weigerte, ihm angeblich vorhandenes belastendes Material über Joe Bidens (82) Sohn Hunter auszuhändigen.
Horrorszenario des Geheimdienstes
Der ukrainische Geheimdienst rechnet mit dem Schlimmsten, wie Blick aus Geheimdienstkreisen erfahren hat. Washington will Selenski weghaben und Neuwahlen ausrufen lassen. Das könnte Aufstände in der Ukraine auslösen und sich aufgrund der zahlreichen Waffen im Land zu einem Bürgerkrieg ausdehnen. Zur Bedrohung von aussen käme damit der drohende Zerfall von innen.
Bewahren vor diesem Schicksal kann die Ukraine nur Europa. Das EU-Parlament hat erkannt, dass man sich auf den Alliierten USA «nicht mehr voll und ganz verlassen» könne. Die Union will der Ukraine im Schnellverfahren Waffen im Wert von sechs Milliarden Euro liefern. Damit soll die Ukraine sich auch ohne amerikanische Unterstützung weiter gegen Putins durch nichts gerechtfertigten Angriff wehren können.
Das sind erste Zuckungen des europäischen Verteidigungsinstinkts, der unter Amerikas Schutzschirm die letzten Jahrzehnte gefährlich vor sich hin schlummerte.
Für Europa sei dieser Krieg «viel wichtiger als für uns», betonte Trump am Mittwoch. «Wir haben einen grossen, wunderbaren Ozean als Abgrenzung.»
Wir nicht.
Dafür diesen russischen Nachbarn, der – wenn Europa ihm jetzt nicht klar Kante zeigt – drei Jahre nach dem schicksalhaften 24. Februar 2022 für seinen brutalen Angriff auf ein friedfertiges Nachbarland belohnt würde. Nach drei Jahren des heroischen Widerstands hat die Ukraine mehr verdient, als auf dem Altar der europäischen Passivität geopfert zu werden.