Selenski will «unverzügliche Aufnahme» in die EU – aber es dürfte mehrere Jahre dauern
EU-Politiker schlägt für Ukraine einen Schweiz-Status vor

Die Ukraine möchte sich so schnell wie möglich der EU anschliessen. Weil das im Eiltempo nicht möglich ist, schlägt der EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, Manfred Weber, eine Schweizer Lösung vor.
Publiziert: 09.03.2022 um 06:51 Uhr
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Aktualisiert: 09.03.2022 um 09:58 Uhr
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Nach einer Woche Krieg meldete sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski per Videoschaltung aus seinem Versteck beim EU-Parlament.
Foto: imago images/sepp spiegl
Guido Felder

Mit einem flammenden Appell hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) die EU um eine «unverzügliche Aufnahme der Ukraine nach einer neuen speziellen Prozedur» gebeten. Sein Land kämpfe ums Überleben. «Ohne euch wird die Ukraine allein sein», sagte er kurz nach Beginn der russischen Offensive.

Kaum hatte Selenski den Antrag gestellt, folgten zwei weitere Staaten mit dem gleichen Anliegen: das kleine Moldawien, das zwischen der Ukraine und dem EU-Land Rumänien eingeklemmt ist, sowie Georgien, das östlich des Schwarzen Meeres liegt und mit der EU keine gemeinsamen Grenzen hat.

Es braucht viel Zeit

Doch eine «unverzügliche» Aufnahme bleibt für die kriegsgeplagte Ukraine – und auch die beiden andern Staaten – Wunschdenken. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63) sagte zwar, dass «das ukrainische Volk zur europäischen Familie gehört». Sie fügte aber an, dass es «einige Zeit dauern» würde.

Auf eine Interviewfrage, wann der frühestmögliche Beitrittstermin sei, antwortete sie: «Das ist schwer zu sagen … Es müssen Reformen durchgeführt, Prozesse eingerichtet werden.»

Weit weg vom EU-Standard

Für eine Aufnahme in die EU muss ein Land bestimmte Kriterien erfüllen. Oft dauert es Jahre, bis alle Punkte erfüllt sind. Die Ukraine ist bei mehreren Kriterien zurzeit weit weg vom EU-Standard. Die EU fordert für die Aufnahme unter anderem eine institutionelle Stabilität, die mit dem aktuellen Krieg allerdings nicht gegeben ist.

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«Ein besonderes Problem ist zudem, dass die Korruption in der Ukraine weit verbreitet ist», sagt EU-Experte Klaus Armingeon (67) von der Uni Zürich gegenüber Blick. Erst wenn diese zurückgefahren werde, habe die Ukraine eine Chance, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen.

Während Länder wie Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande eher auf die Bremse stehen, möchten die osteuropäischen Länder mit der Integration der Ukraine vorwärtsmachen. Einig ist man sich aber darin, dass die EU ein Zeichen aussenden und Beitrittsperspektiven geben soll. Das könnte zum Beispiel sein, dass die Ukraine den offiziellen Status «Beitrittskandidat» erhielte.

Bevorzugung weckt Neid

Der Bayer Manfred Weber (49), EVP-Fraktionschef im Europäischen Parlament, bringt eine weitere Möglichkeit der Annäherung ins Spiel. In einem Gastbeitrag der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» schlägt er vor, der Ukraine wirtschaftlich «zügig einen ähnlichen Status» zu geben wie die Schweiz oder Norwegen. Als ersten Schritt könnte er sich eine Zollunion vorstellen.

Eine bevorzugte Behandlung der Ukraine dürfte aber auch Neid wecken. So könnten andere Länder, denen die EU schon 2003 einen Beitritt in Aussicht gestellt hatte oder deren Beitrittsgesuche hängig sind, möglicherweise verärgert sein, wenn andere Anträge beschleunigt werden. Zu diesen Ländern gehören Albanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Kosovo.

Zielkonflikt der EU

Was ist mit Moldawien und Georgien? Macht deren Mitgliedschaft in der EU Sinn? «Das ist eine politische Entscheidung», sagt Klaus Armingeon. Es gehe hier um den Zielkonflikt der Erweiterung: mehr Länder gegenüber mehr Kompetenzen für die EU in verschiedenen Politbereichen.

Armingeon ist skeptisch: «Die EU steht jetzt schon vor enormen Probleme des inneren Zusammenhaltes. Ein weiteres Mitglied, das in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht weit vom durchschnittlichen EU-Land entfernt ist, würde diese Unterschiedlichkeit der Mitglieder noch steigern und damit die Fragilität der EU erhöhen.»

Für die Ukraine – sowie die beiden andern Länder – dürften die Verhandlungen mit der EU mit grösster Wahrscheinlichkeit zu einer langen Geduldsprobe werden. Auch der angestrebte Nato-Beitritt der Ukraine dürfte in sehr weiter Ferne liegen. Denn wie bei der EU gibts auch bei der Nato strenge Aufnahmekriterien. Eine davon: Der Beitrittskandidat darf keine ungelösten Konflikte haben.

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