Der fragile Frieden auf dem Balkan ist in Gefahr. Nach der russischen Invasion in die Ukraine kommt es in Serbien immer wieder zu Kundgebungen pro Putin. Am Freitag sind in der Hauptstadt Belgrad rund tausend Demonstranten mit Bildern des Kreml-Chefs auf die Strasse gegangen und haben Nato-feindliche Parolen skandiert.
Offiziell verurteilt Ministerpräsident Aleksandar Vucic (52) den Einmarsch. «Wir halten es für einen schweren Fehler, die territoriale Unversehrtheit eines Landes wie der Ukraine zu verletzen», sagte er am Freitagabend in Belgrad. Die breit unterstützen Sanktionen will er aber nicht mittragen.
Serbische Medien feiern den Einmarsch, das Boulevardblatt «Informer» behauptete sogar, dass die Ukraine Russland angegriffen habe.
In der Brust der Serben schlagen zwei Herzen: eines für den grössten Handelspartner EU und eines für Moskau, das Serbien im Kosovo-Krieg von 1999 im Kampf gegen die Nato unterstützt hatte.
In Bosnien-Herzegowina droht Spaltung
Auch in Bosnien-Herzegowina gibts Sympathien für den Einmarsch, und zwar auf höchster Ebene. Milorad Dodik (62), Chef der grössten bosnisch-serbischen Partei SNSD und Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums, verlangt, dass sein Land zur Ukraine-Invasion eine «neutrale» Haltung einnehmen müsse.
Die andern beiden Mitglieder des Staatspräsidiums, in dem die drei politischen Teilgebiete des Landes vertreten sind, und die anderen grossen Parteien unterstützen alle Sanktionen gegen Russland.
Im Staatspräsidium kam es daher zum Eklat. Der rechtsextreme Dodik, der von Putin unterstützt wird und offenbar die russischen Separatistengebiete in der Ostukraine als eigenständige Staaten anerkennt, hat laut derstandard.at eine Sitzung aus Protest verlassen.
Dodik hat vor einiger Zeit Schritte eingeleitet, um die Republika Srpska von Bosnien-Herzegowina abzuspalten und in die Unabhängigkeit zu führen. Diplomaten warnen davor, dass Putin diese Republika Srpska als eigenständigen Staat anerkennen könnte. Die EU überlegt, sich bestehenden US-Sanktionen gegen Dodik anzuschliessen.
Friedenswächter schlagen Alarm
Die Proteste auf dem Balkan sorgen für Alarmstimmung. Zwei ehemalige «Hohe Repräsentanten» der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, der Deutsche Christian Schwarz-Schilling (91) und der Österreicher Valentin Inzko (72), warnen in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63) davor, dass die Aggression in der Ukraine auf den Westbalkan übergreifen könnte.
Der «Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina» überwacht seit 1995 die Umsetzung des Dayton-Abkommens, das den Frieden im Land regelt.
Mehr zum Konflikt
Ein erneutes Aufflammen des Konfliktes sehen die beiden vor allem in Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo, weil die Pläne zur Gründung eines Grossserbiens – analog zu Putins Idee eines Grossrusslands – noch am Leben seien.
Als Konsequenz spricht sich Inzko laut bosnischen Medien dafür aus, Serbien den EU-Kandidatenstatus zu entziehen. Auf der anderen Seite schlagen die beiden ehemaligen Hohen Repräsentanten einen «schnellstmöglichen und unbürokratischen EU-Beitritt Bosnien-Herzegowinas zur EU» vor.
Auch die Nato soll aufgeboten werden, und zwar an der serbischen Grenze und als Puffer in Brcko, das die Republika Srpska in zwei Teile teilt.