Auf einen Blick
- Tatjana Bakaltschuk gründete Wildberries 2004 aus ihrer Moskauer Wohnung
- Wildberries wurde 2017 zum grössten Onlinehändler in Russland
- Fusion mit der kleineren Russ Group unter Putins Zustimmung
- Schiesserei bei Wildberries: Zwei Tote, Streit unter Oligarchen
- Kadyrow droht Politikern mit Blutrache, Bakaltschuk-Ehemann wieder frei
Eine Schiesserei mit zwei Toten. Streit unter einflussreichen Oligarchen. Und eine Drohung mit Blutrache: «Russlands Amazon», der Versandhändler Wildberries, hat in den letzten Monaten für spektakuläre Schlagzeilen gesorgt.
Angefangen hat es im Jahr 2004 – ganz bescheiden. Damals gründete Tatjana Bakaltschuk (48) das Unternehmen. Als junge Mutter begann sie vor 20 Jahren aus ihrer Moskauer Wohnung mit dem Verkauf von Kleidern, wie das ZDF-Onlineportal berichtet. Nun wurde sie Teil von Machtkämpfen auf höchster Ebene.
Wildberries verlangte keine Vorauszahlung, nahm geringe Provision und wurde so erfolgreich. Ihr Ehemann Wladislaw Bakaltschuk (47), ein IT-Techniker, verkaufte bald sein eigenes Unternehmen und investierte das Geld in Wildberries.
Die Firma entwickelte sich zum Milliarden-Geschäft. Seit 2017 ist es der grösste Onlinehändler in Russland. Gemäss «Forbes» wurde Tatjana Bakaltschuk 2019 zur ersten Selfmade-Milliardärin im Land. Mittlerweile wird ihr Vermögen auf 4,1 Milliarden Dollar geschätzt. Sie gilt als reichste Frau Russlands.
Grösste Vermögens-Umverteilung seit den 90ern
Doch seit einiger Zeit geht Präsident Wladimir Putin (72) vermehrt gegen vermögende Privatleute vor und verstaatlicht Betriebe, die er für strategisch wichtig hält. Das in Berlin ansässige «Carnegie Russia Eurasia Center» spricht in diesem Zusammenhang von der «grössten Vermögens-Umverteilung in Russland seit 30 Jahren».
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Die Eigentumsrechte in Russland seien ein weiteres Opfer des Ukrainekriegs. «Die Kämpfe um einige dieser Vermögenswerte haben zu Dramen geführt, die selbst eines Shakespeare würdig wären», heisst es beim Carnegie-Center. Gutes Beispiel dafür sind die Vorgänge rund um Wildberries.
Zur Fusion gedrängt
Der Onlinehändler gab im Juni Pläne für eine Fusion mit der deutlich kleineren Russ Group bekannt. Die Russ Group ist ein Vermarkter von Aussenwerbeflächen, der dem Kreml treu ergeben ist. Wildberries hat einen rund zwanzigmal grösseren Umsatz als die Russ Group. Wie «Forbes Russia» bekannt machte, hatte Putin persönlich seine Zustimmung zur Fusion erteilt.
Nicht einverstanden war Ehemann Wladislaw Bakaltschuk, der offiziell 1 Prozent von Wildberries besitzt. Er stemmte sich gegen die Fusion. Zur Hilfe sprang ihm der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow (48) – ein mit eigenen Sicherheitskräften ausgestatteter Machthaber.
Mächtige Freunde auf beiden Seiten
Ungewöhnlich, dass sich der Tschetschene gegen einen von Putin abgesegneten Deal stellt. Denn: Kadyrow gilt als enger Vertrauter des Präsidenten. Dennoch schickten Kadyrow und Bakaltschuk am 18. September rund 30 Tschetschenen zur Wildberries-Zentrale in Moskau, um die Fusion zu verhindern, wie das ZDF weiter schreibt.
Wie im Actionfilm und mit gezückten Waffen stürmten die Männer in das Bürohaus, ein paar Hundert Meter vom Kreml entfernt. Wachleute wollten das verhindern und alarmierten die Polizei. Schüsse fielen. Am Ende sind zwei Wachmänner tot, mindestens sieben Personen verletzt, unter ihnen zwei Polizisten. 33 Beteiligte wurden abgeführt, darunter auch Ehemann Bakaltschuk.
Tatjana Bakaltschuk wiederum veröffentlicht noch am Abend ein kurzes Video, in dem sie unter Tränen ihre Bestürzung über das Verhalten ihres Noch-Ehemannes ausdrückte. Der Vorfall erschütterte die russische Geschäftswelt und Politik. Viele sehen sich an die wilden 90er Jahre in Moskau erinnert – eine Zeit, für deren Überwindung Präsident Putin sich gerne selbst lobt. Nun wundert man sich, dass er diesen Streit nicht besser unter Kontrolle hat.
Drohung mit Blutrache
Am 1. Oktober gab dann Tatjana Bakaltschuk bekannt, dass die Fusion vollzogen wurde. «Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Umstrukturierung unseres gemeinsamen Unternehmens abgeschlossen ist und wir nun für neue Projekte bereit sind», sagte sie in einem Video. Kurz zuvor hatte sie zudem wieder ihren ledigen Namen angenommen, Tatjana Kim.
Letzte Woche dann hat Kadyrow gegenüber drei Politikern mit «Blutrache» gedroht. In einer Rede in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny beschuldigte er die Männer, sie hätten einen Mord an ihm in Auftrag gegeben. Dazu zählt Suleiman Kerimow (58), der «Oligarch von Luzern» und Milliardär aus Dagestan, der mit Russ Group verbunden ist und gute Beziehungen in die Schweiz unterhält. Ein anderer der von Kadyrow beschuldigten Politiker wies die Anschuldigungen klar zurück. Dies berichtete ein ingusisches Medienunternehmen diese Woche. «Bei Allah, dem Allmächtigen, als meinem Zeugen, ich habe nichts damit zu tun und hatte es nie», soll der Abgeordnete gesagt haben. Ein zweiter Beschuldigter hatte die Vorwürfe bereits letzte Woche zurückgewiesen.
Mit Putin scheint sich Kadyrow derweil auf einen Deal geeinigt zu haben: Seine Kämpfer kommen frei, müssen jedoch an die Front in der Ukraine. Auch Wladislaw Bakaltschuk ist wieder ein freier Mann. Offenbar wurden die Vorwürfe gegen ihn fallengelassen.
Was das über Russland aussagt
Das eigenwillige Geschehen zeigt die ungesunde Verbindung von Politik und Wirtschaft, zwielichtige Verstrickungen von Unternehmen mit kriminellen Strukturen und das mangelnde Vertrauen in Russlands Institutionen, besonders in die Justiz.
Mit den Privatisierungen in Russland in den 1990er Jahren sollte eine Klasse von Kapitalisten geschaffen werden, um das Land vor einem Rückfall in den Kommunismus zu bewahren, schreibt das Carnegie-Center. Die aktuell laufenden Vermögensübertragungen haben jedoch primär ein Ziel: Sie sollen die Loyalität zu Putin erhöhen.