Doch der Aufwand dürfte sich kaum lohnen
Putin will die Stadt Sjewjerodonezk um jeden Preis erobern

Hat Putin eine falsche Strategie eingeschlagen? Die Eroberung von Sjewjerodonezk wäre zwar ein grosser politischer Erfolg. Allerdings kostet ihn die Fokussierung auf die ostukrainische Stadt unverhältnismässig viel.
Publiziert: 30.05.2022 um 17:37 Uhr
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Aktualisiert: 30.05.2022 um 18:04 Uhr
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Zurzeit im Fokus der Russen: die ostukrainische Stadt Sjewjerodonezk.
Foto: imago/Ukrinform
Guido Felder

Putins Truppen fokussieren sich zurzeit auf den Osten der Ukraine. Vor allem die rund 100’000 Einwohner zählende Stadt Sjewjerodonezk wird zurzeit unter Feuer genommen, während an andern bisherigen Schauplätzen eine gewisse Entspannung herrscht.

Kriegsexperten glauben, dass Kreml-Chef Wladimir Putin (69) eine falsche Strategie verfolgt. Das Institute for the Study of War in Washington etwa schreibt: «Putin wirft nun Männer und Munition auf das letzte verbliebene grössere Ballungszentrum in dieser Oblast, Sjewjerodonezk, als ob die Einnahme dieser Stadt dem Kreml den Sieg bringen würde. Er irrt sich.»

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Seine Taktik gehe nicht auf, hält das Institut fest. Die Russen würden die Stadt angreifen, obwohl sie sie noch gar nicht eingekesselt hätten. Der Kreml würde für seinen derzeit taktischen Erfolg einen Preis zahlen, der in keinem Verhältnis zum tatsächlichen operativen und strategischen Nutzen stehe, den die sich erhoffen könnten.

Letzte Bastion der Ukrainer

Das Institut schreibt weiter: «Wenn die Schlacht um Sjewjerodonezk zu Ende ist, wird die russische Offensive auf operativer und strategischer Ebene wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht haben, was der Ukraine die Möglichkeit gibt, ihre Gegenoffensiven auf operativer Ebene wieder aufzunehmen, um die russischen Streitkräfte zurückzudrängen.»

Dass sich die Russen an Sjewjerodonezk verbeissen, hat für den ETH-Militärexperten Mauro Mantovani (58) damit zu tun, dass es die letzte Bastion der Ukrainer in der Oblast Luhansk ist. «Sollte Sjewjerodonezk fallen, kann Putin erstmals die Kontrolle über eine vollständige Oblast reklamieren und so die Voraussetzung für eine Annexion schaffen», erklärt Mantovani gegenüber Blick.

Dies wäre schon ein gewisser politischer Erfolg, wenn auch – wegen Ermangelung eines Besseren – zu einem viel höheren Preis als geplant. Mantovani: «Jetzt spielt zunehmend das Gesetz der versenkten Kosten.»

Neue Einheiten verlegt

Inzwischen haben die Russen offenbar eine neue Offensive geplant. Sie bereiten nach ukrainischen Angaben einen gross angelegten Angriff auf den Raum Slowjansk, das Zentrum der ukrainischen Verteidigungskräfte im Donbass, vor.

Die russischen Truppen verlegten neue Einheiten in das Gebiet, um Slowjansk sowohl von Isjum als auch von der kürzlich eroberten Kleinstadt Lyman aus anzugreifen, heisst es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs am Montag.

Der Raum Slowjansk-Kramatorsk ist der grösste Ballungsraum im Donbass, der noch unter Kontrolle Kiews steht. Hier ist auch das Oberkommando der Streitkräfte im Osten des Landes stationiert.

Rückeroberung wohl unrealistisch

Zur Vorbereitung seien 250 Militärfahrzeuge in den Raum Isjum verlegt und darüber hinaus eine Eisenbahnbrücke im Gebiet repariert worden, um den Nachschub zu beschleunigen. Darüber hinaus sei auch eine Staffel von Ka-52-Kampfhubschraubern nördlich von Isjum stationiert worden.

Die Ka-52 gelten als die modernsten schweren Kampfhubschrauber Russlands. Daneben seien die russischen Truppen dabei, sich auch in Lyman nordöstlich von Slowjansk neu aufzustellen.

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Dass es den Ukrainern noch gelingt, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden und die Russen sogar zurückzudrängen, glaubt Mantovani nicht. «Da bin ich inzwischen skeptisch geworden. Die Ukrainer dürften zwar durchaus punktuell Gelände zurückgewinnen – aber alle besetzten Gelände zurückzuerobern, wie von Selenski angekündigt, wohl nicht.»

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