In der Nacht auf Dienstag war über der Stadt Dschankoj, die im Norden der Halbinsel Krim liegt, eine grosse Rauchwolke zu sehen. Flammen hellten die Nacht auf. Angegriffen wurde ein russischer Raketentransport, wie der ukrainische Militärgeheimdienst auf Twitter mitteilte.
Die Attacke weckt Erinnerungen an vergangenen August, als ukrainische Streitkräfte ein Munitionslager in der Nähe von Dschankoj im Norden der Krim angegriffen haben, wobei auch eine nahegelegene Eisenbahnstrecke beschädigt wurde.
Keine zwei Wochen später, am 29. August 2022, startete die Ukraine eine militärische Gegenoffensive, um die russischen Streitkräfte,
welche die südlichen Regionen der Oblaste Cherson und Mykolajiw besetzt hielten, zu vertreiben. Im September startete eine zusätzliche Gegenoffensive rund um Charkiw.
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Bindet Ukraine die russischen Kräfte in Bachmut?
Die Geschichte wiederholt sich aber nicht nur auf der Krim, sondern auch im Donbass. Seit Monaten herrscht in Bachmut ein Zermürbungskampf. Keine der beiden Seiten will locker lassen – auch wenn die Stadt von geringer strategischer Bedeutung ist. Die Idee der Ukraine: Russische Kräfte binden und eine Gegenoffensive anderswo vorbereiten, so wie im vergangenen Hochsommer.
Bei der Schlacht um die Donbass-Zwillingsstädte Sewerodonezk und Lyssytschansk im August gelang es den Ukrainern, die Russen abzulenken. Sie merkten nicht, dass die Ukrainer weit ab der heissen Schlachten kühl taktierten. Kurz nachdem sich die Ukrainer aus den beiden Städten zurückgezogen hatten, starteten sie nämlich die Rückeroberung grosser Gebiete rund um die Stadt Charkiw und in der Oblast Cherson. Ähnlich könnte das auch im Fall von Bachmut sein.
Beobachten wir hier mit dem Angriff auf die Krim den Beginn einer weiteren ukrainischen Gegenoffensive wie damals im Agust 2022? Dieser Meinung ist Marcus Keupp (45), Militär-Ökonom an der ETH Zürich. «Ich denke, dass der Schlag der Ukraine gegen den Dschankoj-Eisenbahnknotenpunkt eine gestaltende Operation für die kommende Frühjahrsoffensive ist», twittert Keupp am Dienstagmorgen.
Dschankoj ist der wichtigste Eisenbahnknotenpunkt Russlands auf der Krim. Von dort aus verlaufen Schienen in alle Himmelsrichtungen – bis auf das russische Festland, über die im vergangenen Herbst angegriffene Krim-Brücke. Das Ziel dieser Aktion: russische Versorgungsketten zu unterbrechen, damit die Truppen an der Front nicht mehr mit Material versorgt werden können.
Frühlingsoffensive könnte im April starten
Zudem gibt es viele Anzeichen dafür, dass sich die ukrainische Gegenoffensive auf den Süden des Landes – und somit die Krim – konzentrieren wird. Kein Wunder: Seit der Annexion 2014 ist die Rückeroberung der Krim eines der wichtigsten Ziele der ukrainischen Regierung. Immer wieder hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) um Waffen für eine Rückeroberung gebeten, wichtige ukrainische Militärs sprachen oft von einem geplanten Angriff.
Und Waffen wurden geliefert – im Wert von zig Milliarden Dollar. Munition. Raketen, Artilleriegeschütze, Panzer und Kampfjets aus dem Westen ebnen den Weg zu einer Gegenoffensive mit gewaltiger Schlagkraft. Schon im April könnte es so weit sein. Militär-Experte Carlo Masala (54) geht aber davon aus, dass eine Rückeroberung der Krim noch in weiter Ferne liegt. «Ich denke, es wäre schon ein Riesenerfolg, wenn es der Ukraine gelänge, die südliche von der östlichen Front zu trennen, also ab Saporischschja bis zum Asowschen Meer durchzustossen. Dann könnten die Ukrainer auch die Krim in Bedrängnis bringen», sagt er zu T-Online.