Kann die Halbinsel im Schwarzen Meer zurückerobert werden?
«Die Krim wird immer mehr zum Verhandlungspfand»

Weder Russland noch die Ukraine sind bereit, die Krim aufzugeben. Selenski beharrt immer wieder darauf, dass Russland aus der «ganzen» Ukraine abziehen müsse. Zwei Experten ordnen die Lage ein.
Publiziert: 26.12.2022 um 18:43 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2022 um 08:49 Uhr
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Russland und die Ukraine erheben Anspruch auf die Halbinsel Krim. Russland hatte die Halbinsel 2014 annektiert. Die Krim-Brücke (im Bild noch vor dem Anschlag) ist Putins Prestige-Projekt.
Foto: AFP

Die Krim hat eine turbulente Geschichte hinter sich: 1917 von Tataren als Volksrepublik ausgerufen, 1921 dann als autonome Republik innerhalb der Sowjetunion und mit dem Zerfall der Sowjetunion 1992 zu einer Autonomen Republik innerhalb der Ukraine. 2014 wurde die Halbinsel illegalerweise von Russland annektiert.

Durch die russische Invasion der Ukraine im Februar 2022 rückte die Halbinsel im Schwarzen Meer wieder in den Fokus – als Zankapfel der beiden Kriegsparteien. Die Ukraine und Russland machen künftige Verhandlungen vom Status der Krim abhängig, beide lassen nicht locker, beide sind überzeugt, dass sie Anspruch auf die Krim haben.

«Für Russland ist die Krim ein hochemotionaler Ort», erklärt Russland-Experte Ulrich Schmid (56). «Aus russischer Perspektive ist die Krim die Wiege der russischen Orthodoxie und damit der russischen Kultur», so Schmid. Und: Für viele Russen ist die Halbinsel seit Jahrhunderten ein beliebter Ferienort. Die Stadt Sewastopol habe seit 2014 eine föderale Bedeutung wie sonst nur Moskau und St. Petersburg.

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Ukraine blickt auf ständige Bedrohung

Doch auch die Ukraine hat ein grosses Interesse an der Halbinsel. «Die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol ist eine ständige Bedrohung der ukrainischen Sicherheit», führt Schmid aus. Es gehe laut dem Experten aber auch um den territorialen Anspruch darauf: «Völkerrechtlich gehört die Krim nach wie vor zur Ukraine.»

Ob und inwiefern die Krim Teil von Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland werde, bleibt abzuwarten. Bei den Minsker Protokollen 2014, als ein Waffenstillstand im Donbass vereinbart wurde, klammerte man die Krim aus. «Das wird wohl auch in zukünftigen Verhandlungen so sein», ordnet Schmid ein.

Doch auch die Bewohner der Krim sind sich nicht einig, zu welchem Land die Halbinsel gehört. «1991 sprach sich eine Mehrheit der Krimbewohner in einem Unabhängigkeitsreferendum für die Zugehörigkeit zum ukrainischen Staat aus», erklärt Schmid. Und weiter: «Die Krim verfügt in der Ukraine über einen Autonomiestatus, der in der ukrainischen Verfassung verankert war.» Auf der anderen Seite zogen viele pensionierte russische Offiziere nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Krim. Ihre patriotischen Werthaltungen seien unter den Nachkommen noch weit verbreitet.

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Bevölkerung ist sich uneinig

Seit der Annexion 2014 gab sich Russland grosse Mühe, ein Leben auf der Krim attraktiv zu gestalten. «Ziel war es, der Bevölkerung auf der Krim zu zeigen, dass es sich in Russland besser leben lässt als in der Ukraine», ordnet Schmid ein. Die Bevölkerung ist also gespalten: Ein Teil will unabhängig von Russland sein, der andere befürwortet die verbesserte Infrastruktur und will weiterhin vom Kreml beschützt werden.

«Viele Ukrainer haben sich tendenziell mit dem Verlust der Krim abgefunden», sagt Dominik Knill, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, über die Mentalität in der Ukraine. Aber während sich die Bevölkerung uneinig ist, ist für Kiew klar: Die Krim gehört zur Ukraine. Wenn es um die Bedingungen für Frieden geht, sagt Selenski immer wieder: «Die Rückeroberung der gesamten Ukraine, inklusive Krim, bleibt Kriegsziel.»

Die Krim wird aufgrund ihrer wichtigen Bedeutung für Russland militärisch gut geschützt, in jüngster Kriegsvergangenheit wurden wieder starke Verteidigungslinien entlang der Inselgrenzen aufgebaut. Doch im Kreml blickt man mit Sorge auf das Herzstück des Schwarzen Meers. Laut britischem Geheimdienst werden Drohnenangriffe nicht länger von der Krim gestartet, sondern neu aus der südrussischen Region Krasnodar. London interpretiert dies als Zeichen dafür, dass Moskau verwundbar sein könnte.

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Eine Offensive kommt – aber noch nicht jetzt

Und auch Knill bemerkt eine Veränderung. «Eine Offensive der Ukrainer in Richtung Krim steht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit bevor», sagt er. «Ein Ausbau von starken Verteidigungsstellungen ist der logische Schluss für die russische Armee.»

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Doch die Krim-Rückeroberung stellt wahre Herkules-Aufgabe dar – für beide Seiten. «Aktuell hat die ukrainische Armee nicht die militärischen Mittel, um die Krim zurückzuerobern», ordnet Knill ein. Es fehlen Personal und Waffen. «Ein ukrainischer Vorstoss Richtung Süden würde die Versorgungslinien stören oder gar unterbrechen», erklärt Knill. Und Russland müsste einen ukrainischen Angriff auf aus seiner Sicht russisches Gebiet natürlich militärisch beantworten – auch das aktuell eher schwierig.

Am Ende entscheiden die Friedensverhandlungen am Tisch über die Zukunft der Krim, ist sich auch Knill sicher. «Die Krim wird immer mehr zu einem Verhandlungspfand.» Ohne einen Waffenstillstand rund um die Halbinsel werden Friedensverhandlungen kaum möglich sein.

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