Immer wieder wurde von ukrainischer Seite ein Angriff auf die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeerhalbinsel Krim angedeutet – genauer gesagt, auf die Brücke, die diese mit dem russischen Festland verbindet.
Und am Morgen nach dem 70. Geburtstags des Kriegsherrn Wladimir Putin brennt sie tatsächlich. «Die Brücke brennt wunderschön im Sonnenaufgang», kommentierte der ukrainische Inlandsgeheimdienst (SBU) die Geschehnisse – und bestätigt somit indirekt, dass das Land für den Vorfall verantwortlich ist.
Offiziell weiss man noch nicht, was – oder wer – hinter dem Brand steckt. Fakt ist nur: Ein Waggon mit Treibstoff brannte lichterloh, die Autobahnbrücke kollabierte und die Halbinsel ist – zumindest über diesen Weg – abgeschnitten von Russland. Tote und Verletzte wurden noch keine gemeldet.
«Alles Illegale muss zerstört werden»
Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk (46) twitterte: «Die Krim ist die Ukraine. Und alle künstlichen Strassen- und Brückennabelschnüre werden hier keine Wurzeln schlagen.» Und der Berater von Wolodimir Selenski (44), Mykhailo Podolyak (50), schrieb auf Twitter: «Die Krim, die Brücke, der Anfang. Alles Illegale muss zerstört werden, alles Gestohlene muss der Ukraine zurückgegeben werden, alles von Russland Besetzte muss vertrieben werden.» Der offizielle Twitteraccount der Ukraine hält sich hingegen kurz. «Sick burn», ist die einzige Reaktion.
Der Verdacht, dass die Ukraine hinter dem Angriff auf die 19 kilometerlange Verbindung zwischen Russland und der Krim steckt, ist also naheliegend. Wie «Bild» schreibt, gibt es aktuell vier Theorien, wie das Land wohl vorgegangen sein könnte: von den USA gelieferte Himars-Raketen, eine Unterwasser-Drohne – oder doch eine LKW-Bombe, wie es die Russen vermuten?
War es der russische Geheimdienst?
Gegenüber der «Bild» nennt Mykhailo Podolyak die vierte Theorie zur Zerstörung der Krim-Brücke – Russland soll den Angriff selbst verübt haben! Auf Twitter erklärt der Präsidenten-Berater seinen Verdacht: «Jetzt ernsthaft. FSB (russischer Geheimdienst, Anm. d. Red.) versucht, die Führung des Verteidigungsministeriums zu beseitigen. (...) Ist es nicht offensichtlich, wer die Explosion verursacht hat?»
Podolyak zufolge verübte der russische Geheimdienst den Anschlag, um das russische Verteidigungsministerium für die Verluste in der Südukraine verantwortlich machen zu können. So soll ein Machtwechsel vom Verteidigungs- zum Geheimdienstdepartement stattfinden. Für diese These liefert der Berater sogar einen mutmasslichen Beleg: «Der Lastwagen kam aus der Russischen Föderation.»
Der australische Militärexperte Mick Ryan hingegen glaubt an eine LKW-Bombe, die die Ukrainer gelegt haben, wie er auf Twitter schreibt. «Um eine solche Brückenspannweite zum Einsturz zu bringen, braucht man eine Menge Sprengstoff und eine gute Planung der Sprengung. Die am schwierigsten zu sprengenden Brücken sind Stahlbetonbrücken wie diese. Die benötigte Menge an Sprengstoff wäre mehr, als ein paar Männer tragen könnten. Ein paar Lastwagen oder Raketen würden ausreichen, wenn sie auf die richtigen Stellen der Brücke gerichtet sind.»
Laut Ryan sei die Ukraine schon immer gut darin gewesen, Operationen im Vorfeld zu planen und zu gestalten. «Dies könnte Teil ihres Plans zur kurzfristigen Rückeroberung der Krim sein – oder Teil einer Täuschungsoperation, um von anderen Gebieten abzulenken.»
Putins Prestige-Brücke war Symbol für Annexion
So oder so – an Symbolkraft kann der Brand kaum übertroffen werden. Die «Nabelschnur» war Putins Prestige-Brücke – die «längste Brücke Europas», kündigte er bei der Einweihung 2018 stolz an. Die Brücke ist das Symbol der illegalen Krim-Annexion – eine riesige Erinnerung aus Stahl und Beton an den schmerzhaften ukrainischen Verlust. Und nun brennt sie lichterloh.
Nur der Untergang des russischen Kreuzers «Moskwa» im April könnte wohl von ähnlicher Bedeutung sein. Der ukrainische Postchef Ihor Smyljanskyj kündigte im Nachrichtenkanal Telegram den Druck einer Sondermarke von der Brücke an. «Der Morgen war noch nie so ein schöner. Zu diesem Feiertag bringen wir eine neue Marke heraus mit der Krimbrücke – oder vielmehr mit dem, was von ihr übrig ist.» Zuvor hatte die ukrainische Post schon eine Briefmarke mit der «Moskwa» herausgebracht.
Dass die Ukraine die Verantwortung für den Vorfall direkt übernimmt, ist unwahrscheinlich, wie andere Beispiele aus der Vergangenheit zeigen. Denn es ist nicht der erste (mutmassliche) ukrainische Angriff auf die Krim seit Kriegsbeginn. Dem ukrainischen Militär sind bereits mehrere Schläge auf Stützpunkte der russischen Luftwaffe auf der Halbinsel gelungen. Im August etwa wurde der Militärflughafen bei Saki auf der Krim angegriffen, im Oktober kam es erneut zu Explosionen und Rauchentwicklungen in der Nähe. Für ersteres übernahm die Ukraine die Verantwortung, für letzteres bisher nicht.
Zuletzt kam es in der Region Kertsch, die auf der Krim direkt an die Brücke grenzt, immer wieder zu Zwischenfällen mit Drohnen, die explodierten. Russland wiederum betonte, dass ein Angriff auf die Brücke ein klares Überschreiten der roten Linie sei.
Verlust von Krim-Brücke führt zu Problemen
Doch nicht nur der symbolische Wert hat mit dem Brand stark abgenommen – auch strategisch stellt der Verlust dieser Verbindung ein grosses Problem für Russland dar. Die Brücke ist von äusserster Wichtigkeit für das russische Militär, denn darüber erhalten die Truppen Nachschub für die Front im südukrainischen Cherson – einer Region, in der sich die russischen Soldaten seit Wochen bereits in einer prekären Lage befinden.
Doch auch für die Versorgung der Krim selbst ist die Brücke wichtig. Am Samstagmorgen fürchtete man bereits, dass Nahrungsmittel und Benzin für die Bevölkerung begrenzt werden müsste, wie die russischen Nachrichtenagenturen berichten. Dem sei allerdings nicht so, besänftigte die Regierung der Krim. Man sei mit Hochdruck daran, die Reparaturen der Brücke zu planen. Wie lange die Brücke jetzt unbenutzbar bleibt, ist unklar. Russischen Quellen zufolge soll sie bereits Ende Oktober in Betrieb genommen werden.