Vor über zwei Jahren wurde der deutsche Virologe Christian Drosten (49) von der Charité in Berlin zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem Coronavirus in einer Zeitung zitiert. Heute ist er seines Zeichens Corona-Experte und macht im Interview mit dem «Tagesspiegel am Sonntag» Hoffnung auf einen baldigen Wechsel von der Pandemie in die Endemie. Denn laut Drosten könne die Omikron-Variante des Virus eine Chance sein, eben genau diesen endemischen Zustand zu erreichen. Und er lässt auf ein Leben wie vor der Pandemie hoffen. Auf die entsprechende Frage antwortete er: «Ja, absolut. Da bin ich mir komplett sicher».
Zuerst einmal müsste die Bevölkerung aber noch ein paar Jahre lang eine Maske tragen, zumindest in bestimmten Situationen. Das werde nerven, so Drosten. Doch es werde auch ein paar Vorteile geben, denn das Coronavirus habe die Medizin vorangebracht. «Die mRNA-Technologie ist ein Riesen-Durchbruch, auch für Krebs und für andere Infektionskrankheiten, denken wir allein mal an Influenza.» Dieses Wunschszenario vieler könne man jedoch nur erreichen, wenn eine breite Immunität gegeben sei, so Drosten.
Drosten sieht Omikron als «Chance» für Durchseuchung
Alle Menschen müssten sich laut dem Virologen früher oder später mit dem Coronavirus infizieren. «Ja, wir müssen in dieses Fahrwasser rein, es gibt keine Alternative», erklärt er seinen Standpunkt. «Wir können nicht auf Dauer alle paar Monate über eine Booster-Impfung den Immunschutz der ganzen Bevölkerung erhalten.» Das sei die Aufgabe des Virus. «Das Virus muss sich verbreiten, aber eben auf Basis eines in der breiten Bevölkerung verankerten Impfschutzes» – sonst würden «zu viele Menschen sterben». Die abgeschwächte Infektion auf dem Boden der Impfung, sei so etwas wie ein fahrender Zug, auf den man aufspringt, verbildlicht er seine These. «Irgendwann muss man da aber auch mal drauf springen, sonst kommt man nicht weiter.»
Die gute Nachricht bei dem Thema sei jedoch: Im Moment fahre besagter Zug «angenehm langsam», denn Omikron habe im Gegensatz zu anderen Corona-Varianten eine verringerte Krankheitsschwere. Aus diesem Grund sehe er die neueste Variante als «Chance», in den endemischen Zustand überzuwechseln. Denn niemand könne ausschliessen, dass der Zug auch wieder schneller werde. Deutschland habe schon «ein ganzes Stück dieses Weges geschafft über Impfungen». Jetzt müsse das Land ihn aber «zu Ende gehen, damit wir im Laufe des Jahres 2022 in die endemische Phase kommen und den pandemischen Zustand für beendet erklären können».
Virologe rechnet mit erneutem Fallzahlen-Anstieg im Winter
Die Ruhe nach dem Sturm sage er so selbstsicher voraus, da es «bei allen vier zirkulierenden Erkältungs-Coronaviren auch passiert ist». Die «relevante» Frage sei jedoch: «Wie lange geht diese Quälerei noch weiter mit der Pandemie?» Auf diese Frage habe er eine viel bessere Antwort, so Drosten. «Anders als der schwer abschätzbare Mutationsraum, entwickelt sich die Bevölkerungsimmunität bei Erwachsenen in eine klare Richtung: Die Bevölkerung baut Immunität auf und behält die auch». Länder wie Indien oder Südafrika hätten diesen Schritt bereits getan.
Im nächsten Winter rechne er aber noch einmal mit einer starken Erhöhung der Inzidenz. Auch eine erneute Maskenpflicht in Innenräumen sei nicht auszuschliessen. Dies, «weil der Übertragungsschutz noch einmal ein wenig sinken wird und die Vulnerablen in der Bevölkerung geschützt werden müssen.» Der nächste Meilenstein in Sachen Pandemiebekämpfung sei für Drosten eine «Lebend-Impfung», also einen Nasenspray, die einen abgeschwächten Virus oder eine moderne Variante des Coronavirus enthält. «Die müsste man in die Nase geben und so dann Schleimhaut-Immunität auslösen», so der Virologe. «Das wäre ein viel besserer Übertragungsschutz, es wäre der nächste Meilenstein.» (chs)