Einzig in Südafrika zeichnet sich derzeit ein kleiner Hoffnungsschimmer in Sachen Omikron ab: Ausgerechnet das Epizentrum der neuen Variante ist laut Angelique Coetzee, Vorsitzende der nationalen Ärztekammer Südafrikas Ärztin, «über den Berg», die Zahlen seien rückläufig. «Was wir derzeit sehen, ist, dass unsere Fälle sozusagen über den Berg sind – sie gehen irgendwie zurück», sagte die Ärztin am Montag zu CNN. «In Gauteng, dem Epizentrum, sind die Zahlen viel niedriger.»
Die Daten aus Südafrika deuten darauf hin, dass eine Infektion mit Omikron vor allem milde Verläufe hervorruft und es dadurch zu weniger Hospitalisierungen kommen wird. Denn in der vergangenen Woche hätten 1,7 Prozent aller bestätigten Infizierten hospitalisiert werden müssen, teilte Südafrikas Gesundheitsminister Joe Phaahla mit. Im vergleichbaren Zeitraum der dritten Welle Mitte dieses Jahres hatte der entsprechende Wert noch bei 19 Prozent gelegen, so Phaahla an einer Pressekonferenz.
In anderen Teilen Afrikas stieg die Anzahl der aktiven Corona-Fälle um 83 Prozent, wie die «NZZ» berichtet. Die Zahl der Toten hingegen sei bis jetzt weit geringer als bei früheren Infektionswellen. Die Weltgesundheitsorganisation zeigte sich jüngst «vorsichtig optimistisch» in der Hinsicht, dass das auch im weiteren Verlauf so bleiben wird.
Europäische Virologen läuten Omikron-Alarmglocken
In Europa herrscht derweil Alarmbereitschaft. Der deutsche Topvirologe Christian Drosten (49) etwa ist besonders wegen der Impfdurchbrüche besorgt. Und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (54) schlägt Alarm. «Die Inzidenz in Bayern sinkt, unsere Massnahmen wirken – aber eine Omikron-Wand kommt auf uns zu», schreibt er auf Twitter.
Und er ist nicht der Einzige, der im Zusammenhang mit der neuen Corona-Variante von einer «Wand» statt einer «Welle» spricht. Auch Isabella Eckerle (41), die Genfer Virologin, findet die Metapher passend und warnt vor steigenden Zahlen. «Da kommt keine Welle auf uns zu, sondern eine Omikron-Wand», sagt die Virologin zu Blick.
Denn auch die Schweiz würde sich auf der gleichen steilen Kurve nach oben befinden wie andere Länder auch. «Allein an unserem Zentrum in Genf haben wir innerhalb einer guten Woche einen Anstieg von null auf 20 Prozent Omikron-Fälle bei der Nachtestung aller positiven Proben gesehen.» Das sei ein exponentielles Wachstum, erklärt sie.
«Man muss jetzt boostern, was das Zeug hält»
Sorge bereitet Eckerle auch die im Vergleich niedrige Impf- und Boosterquote in der Schweiz. «Man muss sagen, dass die Impfquote in der Schweiz mit zwei vollständigen Dosen mit 67 Prozent geringer ist als in den Nachbarländern. Vor allem die Rate an erfolgten Booster-Dosen mit nur 18 Prozent ist noch sehr gering. Leider sieht es aber so aus, als brauche es wirklich diese dritte Impfung, um gegen Omikron geschützt zu sein.»
Die Virologin stellt klar: «Man muss jetzt boostern, was das Zeug hält, und wahrscheinlich auch weitere Kontaktbeschränkungen andenken.» Denn die Delta-Welle habe die Spitäler stark strapaziert, und die Patienten aus dieser Welle seien vielerorts sogar noch im Spital, so Eckerle. «Wenn dazu jetzt noch eine Welle an Omikron kommt, dann wird es wirklich nicht mehr zu schaffen sein.»
Daten aus Südafrika nicht auf die Schweiz übertragbar
Man könne die Erkenntnisse aus Südafrika aber nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragen, bremst Eckerle die Hoffnung ein wenig aus. Schliesslich sei die Bevölkerung in Südafrika viel jünger und auch bereits andere Corona-Varianten im Land verbreiteter sind als bei uns. Dadurch sei der Schutz vor einer Reinfektion etwas stärker.
Ähnlich sieht das auch Südafrikas Gesundheitsminister: Dem Land kommt nach Einschätzung der Regierung in der gegenwärtigen Omikron-Welle zugute, dass sich bereits zuvor ein grosser Teil der Bevölkerung mit Corona infiziert hat, «Wir glauben, dass es nicht unbedingt einfach so ist, dass Omikron weniger virulent ist». Vielmehr trügen Impfungen und die Immunität bereits Infizierter zum Schutz bei.
«Neuere Daten aus England zeigen bisher eine vergleichbare Krankheitslast zu Delta», führt Eckerle ihre Bedenken zum vermeintlichen Hoffnungsschimmer Südafrika-Szenario aus. «Aber selbst bei geringfügig milderem Verlauf würde die extreme Ansteckungsfähigkeit diesen kleinen Vorteil innerhalb weniger Tage wieder zunichte gemacht haben. Ich kann deshalb wirklich nur davor warnen, sich zu sehr auf diese angeblichen milderen Verläufe zu verlassen.»
Auch der Basler Kantonsarzt Thomas Steffen warnt vor Omikron. Die Delta-Infektionen seien zurzeit zwar rückläufig, jedoch wird dieser Rücklauf «voraussichtlich schon bald vom starken Anstieg bedingt durch Omikron-Variante abgelöst.» Entscheidend sei hier, wie viel Gegendruck man mit Massnahmen und der Impfung aufbaue. Ob die seit Montag geltenden verschärften Massnahmen ausreichen werden, das werden die nächsten Wochen zeigen, meint Steffen. «Die letzte Option, wenn das nicht reicht, ist weiterhin der Teil-Lockdown.»