Deutscher Ärzte-Chef sorgt mit Aussagen für Empörung
«Ein Lockdown ist keine langfristige Strategie»

Andreas Gassen, Chef von 175'000 deutschen Ärzten, rechnet mit einem Scheitern des Lockdowns. Diese Meinung sorgt bei vielen Ärzten für Ärger. Auch Top-Virologe Christian Drosten staunt über diese Aussage.
Publiziert: 17.12.2020 um 15:10 Uhr
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Schweigemarsch gegen Corona-Massnahmen in Berlin: Polizisten mussten Sitzblockaden auflösen.
Foto: imago images/JeanMW

Deutschland ist bis 10. Januar im Lockdown: Die meisten Läden sind geschlossen, der Schulbetrieb ist massiv reduziert, es gilt ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit. Viele Länder haben den Weg des Lockdowns eingeschlagen, um die Kontaktkette zu unterbrechen und die Pandemie zu bekämpfen. Dass das funktioniert, beweisen die sinkenden Fallzahlen eindrücklich.

Nun aber sorgt Andreas Gassen (58), Chef der deutschen Kassenärztlichen Bundesvereinigung, für Empörung. Er sieht in einem Lockdown nicht den richtigen Weg – jedenfalls nicht auf die Dauer. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagt er: «Ein Lockdown, egal wie hart, ist keine geeignete langfristige Strategie in der Pandemiebekämpfung.»

Gassen verweist darin auf Spanien, das mit «extrem harten Beschränkungen letztlich prozentual mehr Tote zu beklagen hat als die USA». Spanien verzeichnet 1039 Tote auf eine Million Einwohner, in den USA liegt dieser Wert bei 948, in der Schweiz bei 735.

Ärger bei Ärzten

Gassen ist allerdings kein Viren-Spezialist, sondern Orthopäde, Unfallchirurg und Rheumatologe. Er präsidiert die Dachorganisation der 17 regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen mit rund 175’000 in Praxen ambulant tätigen Ärzte und Psychotherapeuten.

Schon vor einigen Wochen hatte er diese Meinung öffentlich kundgetan, was ihm grosse Kritik einbrachte. Viele Ärzte meldeten sich und sagten, dass Gassen nicht ihre Meinung vertrete. Und Götz Geldner, Präsident des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten (BDA), sagte damals, dass es zu einer deutlichen Einschränkung von Kontakten und damit der Ausbreitungsmöglichkeit der Infektion derzeit keine Alternative gebe.

Auf Risikogruppen konzentrieren

Wie will Gassen denn die Pandemie stoppen? Statt eines Lockdowns müsse mehr für den Schutz der Risikogruppen in den Alters- und Pflegeheimen unternommen werden. «Denn hier gibts die meisten Todesopfer», sagt Gassen. «Ein über 80-Jähriger hat ein 3000-fach höheres Risiko, an Corona zu versterben, als ein unter 20-Jähriger.» Gassen fordert generell mehr Tests in Pflegeeinrichtungen und die Verwendung von FFP2-Masken.

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Weil der öffentliche Nahverkehr ein massiver Hotspot sei, müsse man auch da ansetzen. Gassen: «Wir müssen die Menschenströme entzerren, zum Beispiel durch den Einsatz von mehr Bussen und Bahnen sowie subventionierten Taxifahrten für Risikogruppen.» Auch eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten müsse zum Thema werden, um die Kundenströme zu entzerren.

Der deutsche Top-Virologe Christian Drosten (48) schüttelt ob Gassens Aussagen zum Lockdown nur den Kopf. Auf Twitter schrieb Drosten: «‹Ein Lockdown ist keine langfristige Strategie› – Natürlich nicht. Das würde wohl auch niemand vorschlagen. Ich frage mich, wem solche Verlautbarungen helfen sollen.»

Drosten ist genervt über die verschiedenen Strömungen, die in Deutschland vorherrschen. «Ihr habt stetig gestichelt, wenig gelesen, gute Vorschläge zerredet. Ihr bringt bis heute keine Inhalte und jammert über mangelnde Resonanz», schreibt der Charité-Forscher auf Twitter. «Tragt endlich was bei!», fordert Drosten. (gf)

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