Auf einen Blick
Dass Donald Trump (78) im Ukraine-Krieg einen Kurswechsel vollzieht, war zu erwarten. Doch die Geschwindigkeit und die Radikalität, mit der er diesen vorantreibt, ist erstaunlich. In nur wenigen Tagen hat er die Ukraine erpresst, Russland rehabilitiert und Europas Sicherheitsarchitektur beschädigt. Das Protokoll eines dramatischen Umbruchs.
Mittwoch, 12. Februar
17.53 Uhr, mitteleuropäische Zeit. Auf Truth Social erscheint ein Post. Donald Trump hat getippt. Und jetzt ist es raus: «Ich hatte gerade ein langes und äusserst produktives Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.» Die USA und Russland hätten vereinbart, per sofort Friedensverhandlungen aufzunehmen. Kein Wort über Putin als Kriegsverbrecher. Stattdessen Lob. Trump ergötzt sich an «den Stärken unserer jeweiligen Nationen» und «den grossen Nutzen», den «wir» eines Tages aus der Zusammenarbeit ziehen. Wer ist «wir»? Zwei Männer wissen es bereits.
Brüssel, ein paar Stunden zuvor. Im Nato-Hauptquartier tritt Pete Hegseth ans Rednerpult. Der US-Verteidigungsminister verkündet, die Ukraine müsse ihre besetzten Gebiete aufgeben. Ein Nato-Beitritt? «Unrealistisch.» US-Schutztruppen in der Ukraine? «Wird nicht passieren.» Europa ist allein.
Donnerstag, 13. Februar
«Warum?», sagt Kaja Kallas, die EU-Aussenbeauftragte. «Warum geben wir Russland alles, noch bevor die Verhandlungen begonnen haben?» Kallas fragt, weil sie nicht gefragt wurde. Trump hat alle übergangen – er hat entschieden. Europa wirkt gelähmt, ratlos. Wie verlässlich ist der Nato-Schutzschirm noch? «Robuster denn je», sagt der US-Verteidigungsminister und spielt seine Aussagen vom Vortag herunter. Es wirkt wie eine leere Beruhigungspille. Ist Europa doch nicht allein?
Freitag, 14. Februar
Es ist Valentinstag. An der Münchner Sicherheitskonferenz versammeln sich Generäle, Sicherheitsexperten, Verteidigungsminister. Gleich spricht J. D. Vance, der US-Vizepräsident. Erwartet werden Worte zur russischen Bedrohung. Doch Vance spricht über etwas anderes. Nicht über Waffenlieferungen, sondern über Europas Demokratien, die er undemokratisch schimpft. Seine Botschaft bleibt unausgesprochen, aber unüberhörbar: Amerika kümmert sich nicht mehr um eure Sicherheit. Die USA haben soeben Schluss gemacht.
Montag, 17. Februar
Es tut sich etwas, Europa erwacht allmählich aus der Schockstarre. Emmanuel Macron hat nach Paris gerufen. Die Entourage des französischen Präsidenten hat in nur 48 Stunden einen Gipfel hochgezogen. Deutschland, Italien, Spanien, die Niederlande, Dänemark, Polen, die baltischen Staaten, Grossbritannien – sie alle sind gekommen und sie wollen demonstrieren, dass Europa handlungsfähig ist. Ein Akteur, eine Einheit. Doch schon die ersten Diskussionen offenbaren Risse. Nicht alle sind bereit, im Ernstfall Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden. Kein Bild der Stärke. Weitere Gipfel sollen folgen.
Dienstag, 18. Februar
Marmorsäulen, goldene Bögen, ein makellos polierter Tisch. Links der US-Aussenminister, rechts sein russischer Amtskollege. Zum ersten Mal seit Jahren sitzen sie nebeneinander – und sie reden vier Stunden lang in einem Palastsaal im saudischen Riad. Vor der Presse heisst es dann, sie wollten ihre Botschaften aufstocken, ein «hochrangiges Team» für Friedensgespräche bilden und «engere Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit» prüfen. Moskau wittert Chancen: ein Ende der Sanktionen, Investitionen in Russland. Die Grossmächte frohlocken übers Geschäftemachen. Der Krieg tobt weiter.
Mittwoch, 19. Februar
Trump haut wieder in die Tasten. Wieder ein Post auf Truth Social. Um 10.47 Uhr schmäht er Wolodimir Selenski einen «bescheiden erfolgreichen Komiker», einen «Diktator», der Amerika in einen Krieg gezerrt habe, der nicht zu gewinnen sei. Bereits zuvor hat er der Ukraine vorgeworfen, sie habe den Krieg begonnen. Russische Propagandalügen, direkt aus dem Weissen Haus.
Es ist der Höhepunkt eines Konflikts mit Selenski. Der ukrainische Präsident hat sich geweigert, einen Knebelvertrag zu unterschreiben. Trump will 50 Prozent aller ukrainischen Ressourcen – seltene Erden, Rohstoffe. Und im Gegenzug? Keine Sicherheitsgarantien, nichts Konkretes. Das ist mehr als Erpressung.
Donnerstag, 20. Februar
«Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden», schreibt der «Economist». Europa brauche einen Crashkurs für eine Welt, in der das Recht des Stärkeren gelte. Anne Applebaum, eine der führenden Intellektuellen des Westens, schreibt im «Atlantic» von einem «seismischen Wandel», vom «Ende der Nachkriegswelt». Trump demonstriere, dass er keine Freunde brauche – es sei denn, sie zahlen. Dass er sich mit jedem verbünden könne – auch mit Putin. Internationale Leitmedien spekulieren, ob die USA Truppen aus Europa abziehen. Plötzlich scheint alles denkbar, alles möglich.
Freitag, 21. Februar
Bald ist es so weit. Drei Jahre Krieg, Tod, Zerstörung – und der Verrat an der Ukraine nimmt seinen Lauf. Aus New York sickern brisante Details an die Medien durch: Die USA wollen offenbar eine Resolution in die Uno-Vollversammlung einbringen, ohne Putin als Aggressor zu nennen oder einen Abzug seiner Truppen zu fordern. Die Resolution trägt den Titel «Der Weg zum Frieden». Der russische Uno-Vertreter findet lobende Worte. Anonyme Diplomatenkreise befürchten eine «grundsätzliche Hinwendung» des US-Präsidenten zum Kremlchef. Trump agiert wie eine Marionette Putins. Alles nur Show? Auf Truth Social erscheint ein Post. Trump hat etwas geteilt: «Das Amerika, das wir unter Joe Biden kannten, ist verschwunden.»