Gäbe es eine Steigerung von Realsatire, selbst sie würde die britische Politik der letzten Wochen nicht im Ansatz beschreiben. Einen parodistischen Moment lieferte Liz Truss einige Tage vor ihrem Abgang. Vor zwei Wochen postete sie auf ihrem Instagram-Account ein Video, wie sie aus der Downing Street 10 herauskommt und davonfährt; das Ganze unterlegt mit trashigem Hip-Hop. Darunter schrieb sie: «Wir bringen Grossbritannien in Bewegung.» Es ist ein Klassiker des Genres der erschreckenden politischen Untaten.
Liz Truss ist ein Bündel von Widersprüchen. Sie wollte Premierministerin werden, obwohl es vorhersehbar war, dass sie bereits in einer Pfütze ertrinken würde. Sie war EU-Befürworterin, die den Brexit aus karrieretechnischen Gründen für eine grossartige Idee hielt. Als Studentin war sie eine lautstarke Unterstützerin der Liberaldemokraten und bog nach ihrem Abschluss scharf nach rechts ab. «Manche Leute haben Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll», sagte sie später über ihre College-Zeit, «ich war bei den Liberaldemokraten. Es tut mir leid.» In den 1980er-Jahren nahm sie an Protestmärschen gegen Margaret Thatchers Regierung teil, übernahm aber heuer Styling und Eigenarten der Eisernen Lady.
Wie Truss gegen einen Salat verlor
Als klar war, dass Truss die Wirtschaft mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Mauer fahren würde, und Finanzminister Kami-Kwasi Kwarteng erkannte, dass er vor dem Rausschmiss stand, veröffentlichte der «Daily Star» auf seiner Titelseite einen 60-Pence-Salat mit einer Perücke, zusammen mit einem Bild der Premierministerin. Zugleich richtete die Zeitung einen Live-Stream ein, um zu sehen, wer von beiden zuerst das Verfalldatum erreichen würde – Liz oder der Salat. Der Salat hat gewonnen. «Welchen Kohl können wir als Nächstes in der Downing Street erwarten?», fragte das Blatt in einem Leitartikel nach dem Rücktritt.
Gute Frage. Wer würde diesen Job wollen? Wer hat das nötige Mass an Narzissmus? Da ist man schnell bei Boris Johnson, dessen Name jetzt herumgereicht wird. Das grosse Problem besteht darin, dass die Tory-Partei niemanden mehr für den Job hat. Da ist Rishi Sunak – da ist aber auch der bei den Tories verbreitete Rassismus und Sunak ist Hindu. Sogar der jüngste Finanzminister, Jeremy Hunt, der die ganze Woche Liz' Hand hielt, um sie davon abzuhalten, vorzeitig aufzugeben, hat gesagt, dass er seinen Hut nicht in den Ring werfen wird.
Ein Hauch Sturm aufs Kapitol
Das Vorspiel zum Rücktritt stellte das goldene Zeitalter der italienischen Farce von Berlusconi in den Schatten. Das Minibudget von Truss und Kwarteng wirkte mutwillig, surreal, selbstzerstörerisch. Die beiden redeten so, als müssten sie ein Land retten, das viel zu lange in den falschen Händen war. Kwarteng sprach von einem «langsam geführten Niedergang», als ob seine Partei die letzten zwölf Jahre nicht die Führung innegehabt hätte. Im Laufe der Woche eskalierte das Chaos. Am Mittwochabend kam es im Parlament nach einer Abstimmung zu irren Szenen, die ganz entfernt an den Sturm aufs Kapitol in Washington erinnern – bloss waren alle Beteiligten gewählte Abgeordnete, keine QAnon-Guerilla. Es wurde geschoben, geschubst, geschrien. Wendy Morton, die für die Fraktionsdisziplin zuständige Chefeinpeitscherin der Tories, trat auf der Stelle zurück. Ihr Stellvertreter Craig Whittaker rief der versammelten Menge zu: «Ich bin verdammt wütend und es ist mir scheissegal.» Um die Sache abzurunden, gab Suella Braverman ihren Rücktritt als Innenministerin. Wer nicht weiss, wer Braverman ist: Sie ist die Tochter indischer Migranten und hat während ihrer fünfwöchigen Amtszeit bevorzugt gegen indische Migranten geschimpft – so lange, bis die indische Regierung Visumanträge für britische Staatsbürger praktisch unmöglich machte.
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Und ja, es gibt noch eine Pointe in dieser schrägen Geschichte: Wie alle Ex-Premiers hat auch Truss Anspruch auf bis zu 115'000 Britische Pfund pro Jahr – umgerechnet 130'000 Franken – für das Leben im Rahmen der sogenannten Public Duty Costs Allowance.
* Mark C. O'Flaherty lebt in London und schreibt regelmässig für «The Telegraph», «The New York Times» und «Financial Times».