Auf einen Blick
- Nordkoreanischer Überläufer unterstützt Ukraine gegen russische Armee mit nordkoreanischen Soldaten
- Seongmin Lee hilft bei Übersetzung, Beratung und Analyse nordkoreanischer Militärdaten
- Etwa 12'000 nordkoreanische Soldaten kämpfen für Russland in der Region Kursk
Als die russische Armee in diesem Winter Unterstützung von Tausenden nordkoreanischen Soldaten erhielt, stand die Ukraine vor einem Problem. Es fehlten umfassende Koreanischkenntnisse und Einblicke in das Kim-Regime. In die geopolitischen Verstrickungen trat für die Ukraine ein unerwarteter Experte ein: der nordkoreanische Dissident Seongmin Lee.
Der Menschenrechtsaktivist wurde in der Grenzstadt Hyesan in Nordkorea geboren. 2009 gelang ihm mit seiner Mutter die Flucht nach Südkorea. «Ich hätte auf dem Schlachtfeld sterben können», zitiert ihn das «Wall Street Journal». 2016 gründete der heute 37-Jährige die Organisation Flash Drives for Freedom, die externe Informationen in 100'000 USB-Sticks an Nordkorea lieferte.
Über NK Insider, eine englischsprachige Nachrichtenseite, trat er in Kontakt mit anderen nordkoreanischen Flüchtlingen und setzte sich mit ihnen über sein Heimatland auseinander, berichtet «Welt». Über die Webseite kam auch die Anfrage aus der Ukraine, ob Informationen über die nordkoreanischen Soldaten geliefert werden könnten.
Besseres Verständnis und Anreize zur Kapitulation
Wichtige Dokumente werden übersetzt, Daten und Routinen aus Tagebucheinträgen gefallener nordkoreanischer Soldaten analysiert. Gemäss Lee konnten so bereits Verluste dokumentiert werden. Andere Einträge zeigten einen «Mangel an Wissen über die Taktik des Feindes». Generell sei mangelnde Koordination zwischen russischen und nordkoreanischen Truppen zu verzeichnen gewesen.
Schätzungen zufolge sind rund 12'000 nordkoreanische Soldaten für die russische Armee im Einsatz. Ohne jegliche Erfahrung mit modernen Waffensystemen und ohne Kenntnisse über russische Kriegstaktiken werden sie an die Front gestellt. Der Kreml verfolgt eine Kanonenfutter-Strategie. Nach Angaben von amerikanischen und ukrainischen Geheimdiensten sind bereits Hunderte nordkoreanische Soldaten gestorben. Anderen Schätzungen zufolge ist ein Drittel der Soldaten entweder getötet oder verwundet worden.
Um die nordkoreanischen Soldaten zur Kapitulation zu bewegen, hilft Lee bei der Formulierung von Flugblättern. Diese werden von ukrainischen Soldaten um die Leichen gefallener Nordkoreaner gelegt. Er empfiehlt direkte und unmissverständliche Botschaften – Begriffe wie «ergeben» oder «Kapitulation» sollten nicht verwendet werden. Diese würden die nordkoreanischen Soldaten verstärkt mit Selbstverrat oder Schande verbinden.
Das isolierte Regime führt nordkoreanische Soldaten in den Tod
Der Menschenrechtsaktivist betont: «So sieht das Regime auch seine Bürger: als Werkzeuge – nicht als Menschen von Wert. Wenn der Diktator dir befiehlt, etwas zu tun, dann tust du es, sonst hat das schlimme Folgen für dich und deine Familie. In diesem Sinne sind auch die Nordkoreaner, die in Russland kämpfen, Opfer ihres Regimes. Sie haben keine Wahl.»
Weiter erklärt Lee im Interview mit «Welt», es sei mehrfach bewiesen, dass das nordkoreanische Militär angewiesen wurde, eine lebendige Gefangennahme gänzlich zu vermeiden. Um nicht Verrat am eigenen Land zu begehen, würden die Soldaten eher Suizid begehen.
«In Nordkorea werden einem von klein auf Propagandafilme über den Koreakrieg gezeigt, in denen Menschen, die vom Feind gefangen genommen wurden und zurückkehren, als Spione oder Feiglinge dargestellt werden», so Lee weiter.
Propaganda mit Kommunikation entgegenwirken
Amed Khan, ein amerikanischer Aktivist und Unterstützer der Ukraine, stand mit Seongmin Lee viel in Kontakt. Er betont im «Wall Street Journal» den hohen Wert seiner Arbeit und bezeichnet den Menschenrechtsaktivisten als «Helden der Ukraine».
Grosse Bedeutung sieht Lee in der Kommunikation mit den nordkoreanischen Soldaten. «Ich möchte, dass sie wissen, dass das Verlassen Nordkoreas kein Verrat ist», betont er im Gespräch mit der Zeitung. «Es ist ein Menschenrecht.»