Auf einen Blick
- Nordkoreanische Soldaten kämpfen in Russland. Ihre Anwesenheit wurde in Kursk gemeldet
- Nordkoreaner führen Zermürbungsangriffe zu Fuss durch, überfordert mit moderner Technik
- 11'000 Nordkoreaner im Zentrum des Konflikts, Dutzende bereits gefallen
Seit sie denken können, waren sie von der Aussenwelt abgeschnitten. Jetzt befinden sich rund 11'000 Nordkoreaner plötzlich im Zentrum des grössten Konflikts auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Mitte November meldete die Ukraine die Anwesenheit von nordkoreanischen Soldaten im russischen Kursk. Die Gefechte nahe der ukrainischen Grenze sind noch immer im Gang – und legen nach und nach die Kanonenfutter-Strategie des Kremls offen.
Aufnahmen aus Kursk weisen darauf hin, dass Pjöngjangs Truppen die Russen seit mehreren Wochen bei ihrem Gegenstoss unterstützen. Laut Angaben von amerikanischen und ukrainischen Geheimdiensten fielen bei den Operationen bereits Dutzende Kämpfer.
Nordkoreaner müssen zu Fuss Zermürbungsangriffe ausüben
Das Institute for the Study of War (ISW) geht davon aus, dass russische Kommandanten die ausländischen Truppen ohne gepanzerte Unterstützung in den Kampf schicken. Weiter erhielten sie den Auftrag, als sich zu Fuss bewegende Einheiten, mehrgleisige Zermürbungsangriffe entlang schmaler Fronten durchzuführen.
Diese Angaben decken sich mit Berichten einer ukrainischen Einheit vor Ort: «Sie führen Infanterieangriffe mit der gleichen Taktik wie vor 70 Jahren aus», eine Anspielung auf den Koreakrieg, in dem Wellen von sich zu Fuss bewegenden nordkoreanischen Soldaten eingesetzt wurden. «Sie rennen einfach über die Felder.» Mit neuen, modernen Waffen, Drohnentechnik und Kommunikationsmethoden seien die Söldner komplett überfordert.
Ein US-Offizieller erklärte gegenüber CNN, dass sich nach seiner Einschätzung «alle Ränge», einschliesslich Führungskräfte der Kommando- und Kontrollzentren, unter den Opfern befinden. Dies spreche für eine durchgängige Unerfahrenheit im Umgang mit modernen Kriegstaktiken.
Soldaten müssen 100 Militärbegriffe lernen
Ein Hauptproblem: die Sprache. Weil sich Nordkoreaner und Russen kaum verständigen können, soll es immer wieder zu heiklen Situationen kommen. So kursierten in den vergangenen Tagen Berichte, wonach Nordkoreaner versehentlich russische Soldaten getötet haben.
Sprachbarrieren erschweren massgeblich «die Befehlsgewalt und Kontrolle, insbesondere wenn Russland versucht, die Nordkoreaner in die unteren Ebenen zu integrieren», sagt der amerikanische Russland-Experte John Hardie gegenüber NBC News.
Offenbar bringen die russischen Streitkräfte den Nordkoreaner rund 100 Militärbegriffe bei. Während Übersetzer und einfache Vokabeln bei einfacheren Operationen helfen können, stellen die Verständigungsprobleme bei grösseren Truppenbewegungen ein Hindernis dar.
«Psychologische Tricks»
Weder Kreml-Machthaber Wladimir Putin (72) noch Nordkorea-Diktator Kim Jong Un (40) haben die Anwesenheit der Nordkoreaner an der Front bislang bestätigt. Die Meldungen von Misserfolgen sollen so eingedämmt werden.
Michael Madden, Mitarbeiter des amerikanischen Think Tanks Stimson Center, vermutet die Anwendung von «psychologischen Tricks» an der Front. Diese könnten «Belohnungen» wie reichhaltigere Mahlzeiten oder den Zugang zum Internet umfassen, mutmassen ukrainische Telegram-Kanäle bereits. Mitte November zeigten Videoaufnahmen aus Russland, wie sich abgemagerte nordkoreanische Soldaten über eine Portion Nudeln mit Fleisch freuen.
In der Heimat wisse die Bevölkerung kaum darüber Bescheid, was mit ihren jungen Männern passiere, glauben nordkoreanische Überläufer. Doch in naher Zukunft werden erste Gerüchte über den Kriegseinsatz die Runde machen und «grossen Schmerz und Angst» auslösen.
Uneinigkeit unter Experten
Über die tatsächlichen Fähigkeiten der Nordkoreaner sind sich Experten uneinig: Während einige Fachpersonen Kims Truppen jegliche Eignung für Front-Einsätze absprechen, mahnen andere davor, die Männer zu unterschätzen.
Die Soldaten haben eine jahrelange, indoktrinierende Militärausbildung unter der harten Hand des Kim-Regimes hinter sich. Sie stammen aus einer Eliteeinheit, die als «Storm Corps» bekannt sei, erklärt der pensionierte, südkoreanische Leutnant Chun In-bum gegenüber CNN. «Storm Corps» seien «besser ausgebildet, haben einen robusteren Körperbau und sind motivierter» als der durchschnittliche nordkoreanische Soldat, so Chun. Der Erfolg von Putins Taktik dürfe massgeblich davon abhängen, wie schnell die Soldaten das Funktionieren an der Front erlernen.