Trump-Umfeld tobt wegen ATACMS-Raketen – auch Experten sind besorgt
«Sie wollen, dass der dritte Weltkrieg beginnt»

Erstmals hat die Ukraine am Dienstag Kurzstreckenraketen aus US-Produktion auf russischem Territorium eingesetzt. US-Präsident Joe Biden hatte dies neu erlaubt. Blick erklärt, was das für die von Donald Trump angekündigten Friedensverhandlungen heisst.
Publiziert: 17:24 Uhr
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Aktualisiert: 18:15 Uhr
Hat Joe Biden (r.) mit der Raketen-Freigabe seinem Nachfolger Donald Trump ein Geschenk gemacht oder ein Problem beschert?
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

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Daniel JungRedaktor News

Die ukrainische Armee darf jetzt Kurzstreckenraketen aus den USA gegen Ziele in Russland einsetzen – und hat dies am Dienstag bereits getan. Dabei wurde ein russisches Munitionsdepot in der Nähe von Karatschew angegriffen. Gemäss russischen Angaben wurden sechs ATACMS-Raketen aus US-Produktion eingesetzt.

Laut Medienberichten hatte dies Präsident Joe Biden (81) zuvor erlaubt, obwohl das Weisse Haus die Berichte weder bestätigt noch dementiert hat. Klar scheint, dass die Erlaubnis der Ukraine helfen könnte, ihre Position bei baldigen Verhandlungen zu stärken. Doch hilft Bidens Freigabe des Waffensystems auch Donald Trump (78) bei seinem zentralen Wahlversprechen, den Krieg rasch zu beenden – oder erschwert es ihm das Leben? Die Antwort darauf ist auch für die Ukraine von grosser Bedeutung.

Trumps Sohn spricht vom dritten Weltkrieg

Trump selbst hat sich bisher nicht geäussert, sein Lager jedoch reagierte kritisch. Richard Grenell (58), der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, warf Biden vor, den Krieg zu eskalieren. «Es ist, als ob er einen ganz neuen Krieg beginnen würde», sagte Grenell.

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Am Dienstag hat die Ukraine erstmals amerikanische Kurzstreckenraketen des Typs ATACMS (Army TACtical Missile System) in Russland eingesetzt.
Foto: AFP

Der Sohn Trumps, Donald Trump Jr. (46), schrieb auf der Plattform X: «Der militärisch-industrielle Komplex scheint sicherstellen zu wollen, dass der dritte Weltkrieg beginnt, bevor mein Vater die Chance hat, Frieden zu schaffen und Leben zu retten.»

«Störmanöver von Biden»

«Trump muss das eigentlich als Störmanöver begreifen», sagt auch der deutsche Militärexperte Ralph D. Thiele (70). Trump ziele auf einen Waffenstillstand, während Biden nun neue Waffen liefere. «Das ist das Spannungsfeld», sagt Thiele.

Er steht der Freigabe der Raketensysteme kritisch gegenüber. «Generell ist das brandgefährlich», sagt Thiele. Denn wirklich kontrollieren könne man eine solche Eskalation nicht. «Das grosse Problem ist, dass Russland immer einen Schritt weiter gehen kann, den Krieg räumlich ausweiten oder sogar kleine Nuklearwaffen einsetzen.» Vor diesem Hintergrund stelle Bidens Entscheid eine klare Eskalation dar.

Putin habe diverse Optionen, zu reagieren, sagt Thiele. Ein möglicher Vorgeschmack wurde am Montag bekannt, als das Unterseekabel «Cinia C-Lion1» zwischen Finnland und Deutschland beschädigt wurde. Gemäss Thiele könnte dies ein Akt der hybriden Kriegsführung Russlands gewesen sein. «Hier ist viel Schaden möglich, den Putin mit wenig Aufwand erreichen kann.»

Am Dienstag hat der Kremlchef zudem eine neue Atomwaffendoktrin in Kraft gesetzt. Russland droht mit nuklearer Vergeltung nicht nur für den Fall eines Atomangriffs, sondern auch bei einem konventionellen Angriff auf Russland oder den Verbündeten Belarus, wenn dieser «eine kritische Bedrohung für deren Souveränität oder deren territoriale Unversehrtheit darstellt».

Ein Problem für Trump

Die Raketen-Freigabe durch Biden gebe Trump zwar einen einfachen Deeskalations-Schritt in die Hand – indem er dies wieder rückgängig mache, sagt Thiele. Auf der anderen Seite sei aber auch denkbar, dass die Situation so stark eskaliere, dass ein Waffenstillstand vorläufig gar nicht denkbar sei. Bidens Entscheidung könnte für Trump also noch zum Problem werden, sagt Thiele. Und nicht nur für ihn: «Es erhöht den Blutzoll, es werden mehr Menschen sterben», befürchtet Thiele.

Die von den USA gelieferten Raketen können tiefer nach Russland eindringen und damit Moskaus Nachschub an Truppen und Ausrüstung behindern. «Putin muss nun Kommandostände, Material und Flugzeuge ausserhalb der Reichweite von 300 Kilometer verlegen», sagt Thiele.

Kursk als wertvolles Faustpfand?

Es wird erwartet, dass die Ukraine die neuen Waffen zur Sicherung der russischen Region Kursk einsetzt, die sie im Sommer erobert hat. Könnte die Kontrolle über das Gebiet bei Verhandlungen von entscheidender Bedeutung sein, als Faustpfand für Wolodimir Selenski (46)?

«Nein», sagt Thiele. In der Region Kursk gebe es weder Rohstoffe noch strategische Punkte. «Ein Tausch etwa gegen die Krim wäre komplett abwegig.»

US-Reaktion auf Truppen aus Nordkorea

Bei Kursk hat Russland Truppen und Ausrüstung zusammengezogen, darunter rund 50’000 eigene Soldaten und etwa 10’000 nordkoreanische Rekruten.

Jake Sullivan (47), der nationale Sicherheitsberater von Biden, sprach gegenüber dem US-Sender PBS aufgrund der Nordkoreaner von einer «grossen Eskalation» durch Russland. Die USA hätten stets klargemacht, dass es Folgen haben werde, wenn Russland einen Drittstaat in den Krieg einbezieht.

«Die Freigabe ist somit in erster Linie wohl eine US-Reaktion darauf», erklärte der deutsche Politikwissenschaftler Frank Sauer (44) gegenüber Blick. «Man kann des Weiteren noch spekulieren, dass das Timing auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Biden-Administration die Entscheidung nicht im US-Wahlkampf kundtun wollte.»

Ob das für Trump eher Vor- oder Nachteil sei, lasse sich nicht seriös beantworten. «Schon weil wir nicht wissen, was Trump eigentlich vorhat», sagt Sauer. Tatsächlich hat Trump schon oft gesagt, dass er den Krieg rasch beenden werde – über die Bedingungen und Wege dazu hat er bisher jedoch geschwiegen.

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