Kurz vor Amtsende gibt er Selenski die Möglichkeit, Russland zu bombardieren
Warum eskaliert Biden genau jetzt den Krieg?

Kurz vor seinem Abgang macht Joe Biden Kiew offenbar ein grosses Geschenk: Die Ukrainer sollen US-Raketen auf Ziele in Russland abfeuern dürfen. Eskaliert die Situation? Eine Analyse.
Publiziert: 18.11.2024 um 13:11 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2024 um 14:54 Uhr
Die amerikanischen ATACMS haben eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern.
Foto: IMAGO/Avalon.red

Auf einen Blick

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Guido FelderAusland-Redaktor

Jetzt also doch: Joe Biden (81) erteilt der Ukraine offenbar grünes Licht, US-Raketen wie ATACMS auf russisches Gebiet abzufeuern. Solche Raketen haben eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Der Einsatz soll sich im Moment auf die Region Kursk beschränken, wo die Ukrainer russisches Gebiet erobert haben und wo schätzungsweise bis zu 15’000 nordkoreanische Soldaten die Russen unterstützen.

Mit diesem Entscheid erfüllt der amerikanische Präsident dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (46) einen langersehnten Wunsch. Warum der amerikanische Präsident gerade jetzt die Bewilligung zum umstrittenen Einsatz erteilt, hat seine bestimmten Gründe. 

  • Biden will in seinen letzten beiden Monaten als Präsident noch einmal alles unternehmen, um den Ukrainern zu helfen. Von Nachfolger Donald Trump (78) ist zu erwarten, dass er die Hilfe reduzieren wird. Biden hat noch ein Paket von sechs Milliarden Dollar zur Verfügung. Weitere, langfristige Unterstützung aufzugleisen, dürfte jetzt unmöglich sein.

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US-Präsident Joe Biden hat Wolodimir Selenski immer grosszügig unterstützt.
Foto: keystone-sda.ch
  • Die Russen sollen in ihren massiven Angriffen auf die ukrainische Energie-Infrastruktur gestoppt werden. Mit dem Ausfall von Strom droht den Ukrainern in unheizbaren Häusern ein sehr kalter Winter. 

  • Der wichtigste Grund aber dürfte laut Philipp Adorf (40), USA-Experte an der Uni Bonn, die Beteiligung Nordkoreas am Krieg sein. Adorf: «Ziel ist es, Russland unmissverständlich aufzuzeigen, dass eine Ausweitung des Konflikts Konsequenzen hat.»

  • Gleichzeitig ist die Freigabe auch eine Motivation an weitere Verbündete, ihre Einschränkungen zu lockern. Nebst den USA sollen laut «Le Figaro» auch Frankreich und Grossbritannien den Einsatz ihrer Storm-Shadow-Marschflugkörper gegen Ziele in Russland gestattet haben. Unklar ist jedoch, ob das grüne Licht ebenfalls nur für die Region Kursk gilt.

Auf Kursk beschränkt

Mit den ATACMS können wichtige Ziele wie Munitionslager, Kommandoposten und Truppenansammlungen gezielt und effektiv zerstört werden. Das würde die russischen und nordkoreanischen Truppen in der Region Kursk erheblich schwächen und den Nachschub erschweren.

Auf den Kriegsverlauf selber wird die Freigabe keinen grossen Einfluss haben. Laut in US-Medien zitierten Beamten sollen die Angriffe mit den US-Raketen nur einen «spezifischen und begrenzten» Effekt erzielen. Während die Russen zwar in Kursk geschwächt würden, bleiben russische Waffensysteme in vielen andern Regionen ausserhalb der Reichweite westlicher Geschosse.

Der Kreml droht

Aus dem Trump-Lager kommen sehr kritische Stimmen auf Bidens Entscheid. So warf Donald Trump Jr. (46) dem Präsidenten vor, einen dritten Weltkrieg noch vor der möglichen Amtsübernahme seines Vaters provozieren zu wollen. Dennoch könnte Bidens Strategie einer fortgesetzten Unterstützung der Ukraine Trumps Position stärken, meint USA-Experte Philipp Adorf: «Denn durch die Rücknahme bestimmter Schritte, die Biden in den letzten beiden Monaten seiner Amtszeit ergreift, könnte Trump sich dabei gezielt als Friedensstifter inszenieren.»

«Wenn eine solche Entscheidung tatsächlich formuliert und dem Kiewer Regime mitgeteilt wurde, hat das die Qualität einer neuen Windung der Eskalationsspirale», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow (57) in Moskau. Es sei auch eine «qualitativ neue Lage hinsichtlich der Verwicklung der USA in den Konflikt», sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass.

Wladimir Dschabarow (72), erster stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten des russischen Oberhauses, sagte, dass der Kreml schnell darauf reagieren werde. Und er drohte, dass dies zu einem dritten Weltkrieg führen könnte. 

Wie muss man diese Drohung einschätzen? Laut Ulrich Schmid (59), Russland-Experte an der Uni St. Gallen, besteht Putins Strategie im Moment nicht in einer offenen Konfrontation mit den USA, sondern in der weiteren Zermürbung der Ukraine durch massive Drohnen- und Raketenangriffe. Schmid: «Putin will bis zu Trumps Amtsantritt Fakten schaffen, die bei einem allfälligen ‹Deal› bestehen bleiben.»

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