Auf einen Blick
Der Einsatz von nordkoreanischen Truppen giesst neues Öl ins Feuer des Ukraine-Kriegs. Nato-Generalsekretär Mark Rutte (57) spricht von einer «signifikanten Eskalation».
Denn plötzlich heisst es auch in Europa: Schickt eure Truppen in die Ukraine! So fordert der litauische Aussenminister Gabrielius Landsbergis (42), die Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron (46) zu überdenken. Macron hatte Anfang des Jahres gesagt, man dürfe nichts ausschliessen – auch nicht die Entsendung von Bodentruppen. Wie gross ist nun die Gefahr, dass es auf ukrainischem Boden zur grossen Schlacht zwischen mehreren Armeen kommt?
US-Aussenminister Antony Blinken (62) geht davon aus, dass sich inzwischen rund 10’000 nordkoreanische Soldaten in Russland befinden – davon 8000 in der Region Kursk, welche die Ukrainer zum Teil erobert haben. Auch wenn es nur einige tausend Soldaten sind, dürften die Nordkoreaner bei den Ukrainern grosse Kräfte binden. Präsident Wolodimir Selenski (46) hofft daher ebenfalls auf Hilfe aus Korea, nämlich von Nordkoreas Erzfeind Südkorea. Auf Telegram schrieb Selenski über ein bevorstehendes Treffen: «Wir werden über Waffen reden.»
Wie weit wird Südkorea gehen?
Seoul verfügt über moderne Verteidigungswaffen, welche die ukrainische Luftabwehr merklich stärken können. Dazu gehört das System KM-SAM, das ballistische Raketen mit kleiner Reichweite abfangen kann. Auch Angriffswaffen interessieren die Ukraine: Nebst Artilleriegeschossen, Haubitzen, Panzern und Mehrfachraketenwerfern ist laut der Militärplattform «The War Zone» die Rede von modernen ballistischen Raketen und sogar Kampfjets aus eigener, von den USA unterstützten Produktion.
Eric J. Ballbach, Korea-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP), kann sich gut vorstellen, dass es tatsächlich zu Waffenlieferungen kommt. Ballbach zu Blick: «Südkorea folgt zwar eigentlich dem Prinzip, keine Waffen in aktive Kriegszonen zu liefern. Die militärische Kooperation zwischen Nordkorea und Russland könnte diese Politik jedoch aufweichen.»
«Taten statt Worte»
Mit dem Zuzug der Truppen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un (40) in Russland flammt auch jene Diskussion wieder auf, die der französische Präsident Emmanuel Macron (46) im Frühling angestossen hatte: Ausländische Truppen sollen den Ukrainern zu Hilfe eilen.
Der litauische Aussenminister Gabrielius Landsbergis schreibt auf X: «Wir sind immer noch in der Defensive und reagieren auf die Eskalation, anstatt sie umzukehren. Macrons Ideen sollten jetzt überdacht werden, besser spät als nie.» Die litauische Parlaments-Sprecherin Viktorija Cmilyte-Nielsen (41) doppelt nach. Sie fordert «nicht nur Worte, sondern auch Taten».
Risiko einer Ausweitung
Länder wie Frankreich und Grossbritannien unterstützen ukrainische Soldaten bisher in der Ausbildung, greifen aber nicht selber in den Konflikt ein. Wird sich das nun ändern?
Die Wahrscheinlichkeit ist im Moment klein. Ballbach geht davon aus, dass Südkorea in einem ersten Schritt zwar einige wenige militärische Beobachter bzw. Geheimdienstmitarbeiter in die Ukraine entsendet, um gezielt Informationen zu nordkoreanischen Aktivitäten im Blick zu haben. «Dass Seoul aber Soldaten für den Einsatz an der Front zur Verfügung stellt, kann ich mir nicht vorstellen.»
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Auch andere Länder dürften sich in Zurückhaltung üben. Liviu Horovitz (41), Militär-Experte bei der SWP, sagt gegenüber Blick: «Eine Entsendung von Truppen, die direkt an der Front kämpfen, halte ich für unwahrscheinlich, unabhängig davon, wer die Wahlen in den USA gewinnt. Denn damit würde eine direkte Verwicklung der Nato in den Ukraine-Krieg wahrscheinlicher, was Washington stets vermeiden wollte.»
«Unbedingt vermeiden»
Der ehemalige Bundeswehr-Oberst Wolfgang Richter vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik warnt bei einer allfälligen Entsendung von Truppen vor einer Kriegsausweitung auf ganz Europa. «Es bestand bisher Konsens in der Nato, dass dies unbedingt vermieden werden muss. Anderslautende Vorschläge sind deshalb unverantwortbar.»
Auch wenn Kiews Verbündete weiterhin keine Kampftruppen in die Ukraine entsenden, habe die Diskussion darüber schon eine gewisse Wirkung. Das sagt Riho Terhas (57), ehemaliger General des estnischen Heeres und für die konservative Partei Isamaa Mitglied des EU-Parlaments. Terhas sagt gegenüber politico.com: «Jedes Mal, wenn wir über Bodentruppen in der Ukraine sprechen, gibt das Putin ein wenig mehr Unsicherheit darüber, wohin sich der Konflikt entwickelt. Und das ist gut so.»