Nachts erstrahlt Putins stolzer Prestigebau in den Farben Russlands rot, blau, weiss. Mit knapp 19 Kilometer ist die Stabbogenbrücke über die Meeresenge von Kertsch die längste Brücke Europas. Für Auto- und Schienenverkehr ist sie die einzige Landverbindung von der 2014 annektierten Krim zum russischen Festland. Über die Brücke erreichen Tausende Russen täglich die besetzte Halbinsel, werden die russischen Verbände im Süden der Ukraine sowie die Schwarzmeerflotte mit Soldaten, Artillerie, Munition und Treibstoff versorgt.
Heute verblasst die Festbeleuchtung und das Symbol eines starken Russlands bröckelt. Andere Bilder von der Krim-Brücke kursieren im Netz: brennende Zisternenwagen, Rauchsäulen, geborstener Stahl, Löcher im Beton. Seit Monaten attackiert die ukrainische Armee die Brücke von Kertsch mit Drohnen. Nach anfänglichen Sabotage-Akten scheint sich nun ein Feldzug anzubahnen.
Angriffe auf die Krim nahmen stetig zu
Am 8. Oktober 2022 sind auf der Autobahnbrücke mehrere Explosionen zu hören. Die Fahrbahn bricht ein. Sieben Kesselwagen mit Diesel beladen stehen in Flammen. Drei Menschen sterben. Der Anschlag erschrickt auch westliche Beobachter. Ein Angriff auf die für Russland so wichtige Krim galt damals noch als rote Linie. Putin könnte mit einem Nuklearangriff antworten.
Das hat sich geändert. Im Zuge der ukrainischen Gegenoffensive greift Kiew im Juli und August vermehrt die Krim-Brücke mit Drohnen an, aber auch andere Brücken, die von der Halbinsel auf die von den Russen besetzte Südukraine führen, sowie Munitionslager. Am 17. Juli kommt es beispielsweise auf der Brücke zu Explosionen. Dabei sollen zwei Menschen gestorben sein. In der Nacht auf Samstag seien zwei ukrainischen Raketen von den Russen abgefangen worden, so der von Moskau eingesetzte Statthalter der Halbinsel, Sergej Aksjonow auf Telegram. Selenskis Truppen versuchen zudem zur südlichen Küste vorzudringen, um die Landbrücke zwischen der russisch-besetzten Ukraine und der Halbinsel Krim zu blockieren.
Experten glauben mittlerweile an eine Rückeroberung der Krim
Der Militärgeheimdienst-Chef Kyrylo Budanow bestätigte im ukrainischen Sender TCN, dass ukrainische Truppen schon bald die Krim betreten würden. Experten wie der pensionierte australische General Mick Ryan vermuten, dass es den Ukrainern über eine Landblockade gelingen könnte, auf die Halbinsel zu gelangen. Weiter nennt der Kriegsbeobachter in seinem Twitter-Thread eine «robuste Luft und Seekampagne», die die etwa 100'000 benötigten Truppen begleiten müsste.
Das freilich würde nicht ohne weitere Langstrecken-Präzisionsraketen funktionieren, so der Experte. Zu dieser Strategie passen die von Kiew gewünschten deutschen Marschflugkörper des Typs Taurus mit Reichweiten bis zu 500 Kilometern. Grossbritannien liefert bereits Cruise Missiles des Typs «Storm Shadow». Diese Raketen wurden bereits im Juni zur Bombardierung der Tschongar-Brücke auf der Krim eingesetzt. Und auch Frankreich stellt seine Scalp-Marschflugkörper bereit.
Mehr zum Krieg in der Ukraine
Dann gäbe es bald keine Krim-Brücke mehr
Die Krim sei für die Ukraine entscheidend, sagt der ehemalige US-General Ben Hodges und Ex-Kommandeur der US-Armee in Europa in der ZDF-Talkshow «Maybrit Illner». «Solange Russland die Krim behält, wird die Ukraine nie sicher sein», glaubt er. Immer mehr Menschen würden nicht nur die Notwendigkeit der Rückeroberung der Krim, sondern auch die Machbarkeit erkennen, sagt der Ex-Militär.
Sollte es Kiew tatsächlich gelingen, die Russen von der Krim zu vertreiben, dann wird es auch keine Krim-Brücke mehr geben. Denn für die Ukraine ist der Bau der Brücke rechtswidrig. Sie behindert viele Schiffe bei der Durchfahrt vom Asowschen Meer zum Schwarzen Meer. Und auf eine direkte Landverbindung von der Halbinsel zum russischen Festland kann die Ukraine wohl verzichten.