Wagner-Truppen hissen ihre und russische Flaggen in Bachmut. Kriegspräsident Wladimir Putin (70) gratuliert den Paramilitärs von Söldner-Führer Jewgeni Prigoschin (61) persönlich zur Eroberung – dem ersten militärischen Erfolg Moskaus seit einem Jahr. Dabei stellt der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) am Sonntag vor seinem Abflug vom Hiroshima-G7-Gipfel klar: Seine Soldaten seien noch immer in der hart umkämpften Stadt. Aus taktischen Gründen könne er nicht mehr sagen als: «Bachmut ist bis heute nicht von Russland besetzt. Es gibt keine zwei oder drei Interpretationen dieser Worte.» Will sagen: Die Lage an der Front lasse sich von Moskau nicht schönreden.
Derweil wird Generaloberst Oleksandr Syrskyj (57), Befehlshaber der Bodentruppen der Streitkräfte der Ukraine, mit den Worten zitiert, dass seine Einheiten die Stadt «strategisch einkreisen»: «Wir rücken weiter entlang der Flanken in den Vororten von Bachmut vor und stehen tatsächlich kurz davor, die Stadt taktisch einzukesseln», wird Syrskyj, vom Telegram-Kanal seines Kommandos zitiert. «Dadurch werden wir in der Lage sein, alle vom Feind besetzten mehrstöckigen Gebäude zu kontrollieren und sie nach und nach zu zerstören. Dies entzieht dem Feind die Kontrolle über die Zugänge zur Stadt und verschafft uns gewisse taktische Vorteile.»
Abschneiden von Versorgungs- und Fluchtwegen
Ähnlich ordnen die Kriegsexperten des Institute for the Study of War (ISW) die Lage ein: «Ukrainische Militärquellen berichteten, dass die russischen Streitkräfte einen Teil der dominierenden Höhen um Bachmut verloren haben», heisst es im täglichen Kriegsbulletin vom Sonntag. Die Militärführer der Ukraine «wiesen darauf hin, dass ein anhaltender ukrainischer Vormarsch zu einer taktischen Einkreisung der Wagner-Kräfte in Bachmut führen könnte.» Damit würden Prigoschins Kämpfer eingekesselt und von Nachschubs- und Fluchtrouten abgeschnitten.
So paradox es klingt: Der längste und blutigste Kampf um die Stadt im östlichen Donbass ist wohl noch nicht zu Ende. Die russischen Streitkräfte geraten trotz des Flaggenhissens in Bachmut noch mehr unter Druck als zuvor. Russland wollte an diesem Abschnitt die Frontlinie begradigen und dann auf breiter Linie weiter vorstossen.
Die ISW-Experten analysieren das so: Insbesondere Prigoschin und seine Männer seien an ihre Grenzen gestossen. Die monatelangen, zermürbenden Offensivoperationen von Wagner würden wahrscheinlich in diesem Stadt- und Häuserkampf enden: «Es ist unwahrscheinlich, dass Wagner in seinem derzeitigen erschöpften Zustand den Kampf über Bachmut hinaus fortsetzen kann.» (kes)