Alpinisten in Aufruhr: Ein mutmasslich aberkannter Rekord der Südtiroler Bergsteiger-Legende Reinhold Messner (79) führte zu einem Eklat. Im Auge des Sturms stand der Himalaya-Chronist Eberhard Jurgalski (70). Gemäss Jurgalskis Berechnungen sollen viele Bergsteiger bei der Besteigung des Annapurna in Nepal vor Erreichen des «wahren Gipfels» umgekehrt sein – darunter auch Messner im Jahr 1985.
Die Berechnungen hatten ernsthafte Folgen: Die Verantwortlichen des Guinnessbuchs der Rekorde machten aus Messners Bestmarke auf ihrer Website einen «Vermächtnis»-Rekord.
Jurgalski machte bereits vor zwei Wochen darauf aufmerksam, dass es in der Berichterstattung zu einem Übersetzungsfehler gekommen sei. Laut ihm haben die Medien «das in der originalen Pressemitteilung verwendete englische Wort ‹Legacy› (Vermächtnis, Würdigung) nicht korrekt, sondern fälschlicherweise als ‹outdated› (veraltet, wurde sofort zu ‹gestrichen›) übersetzt».
«Ein regelrechter Shitstorm»
Jetzt wehrt sich Jurgalski in einem Interview im «Tages-Anzeiger» gegen den daraus resultierten Knatsch. Die vergangenen Wochen seien «wirklich hart» für ihn gewesen. Er sei immensen Beleidigungen ausgesetzt gewesen. In einem Brief sei er als grösstes «Erbsenzähler-Arschloch auf diesem Planeten» bezeichnet worden. «Ich geriet in einen regelrechten Shitstorm.»
Jurgalski erklärt, dass es in der Pressemitteilung niemals darum ging, Messner seinen Rekord abzusprechen. «Und wer bin ich denn, dass ich ihm irgendwas aberkennen könnte», fügt der Gebirgsexperte hinzu.
Doch Messner war empört: «Einen Rekord, den ich nie in Anspruch genommen habe, kann man mir auch nicht nehmen», sagte der Bergsteiger der Nachrichtenagentur DPA. Auf Jurgalskis Berechnungen angesprochen, sagte Messner: «Der hat keine Ahnung. Der ist kein Experte. Der hat einfach den Berg verwechselt. Natürlich sind wir auf dem Gipfel angekommen.»
Messners Reaktion habe Jurgalski «wirklich, wirklich verletzt», wie er im Interview sagt. Er befasse sich seit 42 Jahren mit der Hochgebirgsgeografie. «Da verwechselt man nicht mal so einen Berg – schon gar nicht bei einem so sensiblen Thema.» Deshalb wehre er sich nun auch. «Es geht schliesslich um nichts weniger als meine Reputation.»
Neue Erkenntnisse, neue Tabellen
Dank wissenschaftlicher Erkenntnisse wisse man bei den Achttausender-Bergen, wo sich der höchste Punkt befindet. «Davor glaubten teilweise auch die Grössen, den höchsten Punkt erreicht zu haben – irrtümlicherweise», so Jurgalski.
Deshalb führe man eine neue Tabelle. Demnach war der US-Amerikaner Ed Viesturs (64), der den Gipfel aller 14 Achttausender erklommen hat – und nicht Messner. Dennoch seien die Leistungen von Messner und weiteren Grössen «spektakulär» gewesen.
Damit gibt es nun zwei Rekordhalter: Messner für die traditionellen, Viesturs für die modernen Alpinisten.
Mit einer Vermächtnis-Tabelle wollte Jurgalski den Leistungen der vergangenen Bergsteiger-Generation gerecht werden. «Ich glaubte auch, alle Beteiligten würden sich über diese Lösung freuen.» Die Reaktionen zeigen: Da hat er sich offenbar getäuscht. (bab)