«Der hat keine Ahnung»
Rekorde von Reinhold Messner aberkannt – Zoff eskaliert

In der Alpinistenwelt herrscht grosse Aufregung. Denn eine seit Jahrzehnten bestehende Gewissheit soll plötzlich falsch sein. Messner reagiert ungehalten – und der Chronist wird attackiert.
Publiziert: 27.09.2023 um 23:58 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2023 um 09:08 Uhr
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Reagierte ungehalten: Reinhold Messner ärgert sich über die Aberkennung seiner Rekorde.
Foto: imago/Revierfoto

Bislang galt der Südtiroler Extrembergsteiger Reinhold Messner (79) im Guinnessbuch der Rekorde als der erste Mensch, der alle 14 Achttausender der Welt bestiegen hat – und ausserdem als erste Person, die dies ohne Hilfe von Sauerstoff aus der Flasche geschafft hat. Inzwischen ist er auf der Guinessbuch-Website lediglich als «Vermächtnis»-Rekord gelistet – heisst: Der Rekord wurde zu einer Zeit anerkannt, als die Berechnungen nicht dem heutigen Stand entsprachen.

Grundlage sind neue, umstrittene Berechnungen – unter anderem mit Geodaten, wonach etliche Bergsteiger vor Erreichen des «wahren Gipfels» wieder umgekehrt seien. Insbesondere der deutsche Himalaya-Chronist Eberhard Jurgalski (70) sagt schon länger, dass Messner nie ganz oben auf dem Gipfel des 8091 Meter hohen Annapurna gestanden habe.

Gipfelstreit ohne Ende

Seit der Aberkennung ist die Bergsteigerwelt in heller Aufruhr. Jurgalskis Veröffentlichungen und die darauf folgende Guinness-Entscheidung haben einen Gipfelstreit in Gang gesetzt. Messner reagierte irritiert. «Einen Rekord, den ich nie in Anspruch genommen habe, kann man mir auch nicht nehmen,» sagte er der Nachrichtenagentur DPA. Auf Jurgalskis Berechnungen angesprochen, sagte Messner: «Der hat keine Ahnung. Der ist kein Experte. Der hat einfach den Berg verwechselt. Natürlich sind wir auf dem Gipfel angekommen.»

Der Streit hat sich seitdem verselbstständigt. Er werde mittlerweile von Messners Anhängern beschimpft, sagte Jurgalski im Gespräch mit der DPA. «Ich habe Messner keinen Rekord aberkannt, sondern seine Leistung lediglich einordnen wollen.» Der Bergsteiger habe nur einen Fehler gemacht. «Messner hat viel geleistet, aber einen kleinen menschlichen Fehler gemacht – so wie andere auch», so Jurgalski. 

Nicht persönlich gegen Messner

Der Lörracher betont zudem, seine Veröffentlichungen zu den neuen Berechnungen seien nicht persönlich gegen Messner gerichtet gewesen. Schliesslich habe er herausgefunden, dass auch andere nicht die Gipfel der Achttausender Annapurna, Dhaulagiri und Manaslu erreicht hätten. Jurgalski rief Messner auf, damit aufzuhören, ihn zu beleidigen. In einem Tamedia-Interview sagt er: «Es ist sehr zermürbend, wenn ein Mediengigant wie Messner mich beschimpft, ohne Konsequenzen.»

Gemäss den neuen, von Jurgalski angestossenen Daten, auf die die Organisatoren des Guinnessbuches zurückgreifen, wird nun dem US-Amerikaner Ed Viesturs der Titel zugesprochen. Dieser springt seinem weltweit bekannten Bergsteiger-Kollegen nun zur Seite. «Ich bin der festen Überzeugung, dass Reinhold Messner der erste Mensch war, der alle 14 Achttausender bestiegen hat, und dass dies auch heute noch anerkannt werden sollte», sagte Viesturs auf DPA-Anfrage.

Messner soll unterhalb des Gipfels gestanden sein

Doch nach Berechnungen von Jurgalskis Team hat Messner niemals die Spitze des Annapurna erreicht. Grundlage seiner These sind Geodaten, wonach er und etliche andere Bergsteiger vor Erreichen des «wahren Gipfels» wieder umgekehrt seien. «Messner war an einem Punkt 65 Meter vor und fünf Meter unter dem Gipfel», so Jurgalski. Schliesslich behaupte Messner in Interviews, dass er von oben das Basislager habe sehen können. «Vom Gipfel kann man das Basislager aber nicht sehen.»

Bergsteiger-Experten zufolge war es in der Vergangenheit bei vielen Gipfeln nicht immer eindeutig klar, wo genau der höchste Punkt war und ob man ihn erreicht hatte. Dabei spielte vor allem die Unübersichtlichkeit eine Rolle. Sturm, Schnee und vor allem fehlendes GPS beeinträchtigten damals den Orientierungssinn. «Ob wir nun fünf Meter höher standen oder nicht – das kann niemand wissen auf der Welt. Weil der Sturm zu stark war und ein Whiteout herrschte: dichter Nebel, alles weiss um uns herum, Schnee, Eis», sagte Messner der FAZ. Nicht nur der Gipfel sei damals sein Ziel gewesen, sondern auch der Weg dorthin.

«Ich bin ein glücklicher Mann!»

Als Messner 1985 den Annapurna erklomm, gab es keine Geodaten und GPS. «Ich glaube, dass Messner und die anderen ihr Möglichstes getan haben, um auf diesen Bergen die wahren Gipfel zu besteigen, und zwar nach bestem Wissen und unter den Bedingungen, die sie vor Ort vorfanden», sagt auch der neue Rekordmann Viesturs.

Messner will sich im Gipfelstreit nun zurückhalten. Auf seinem Instagram-Profil setzte er am Montag nach eigenen Worten einen letzten Post zu dem Thema ab. Ihm gehe es nicht in erster Linie um das Erklimmen des Gipfels für einen Rekord. Im Alpinismus gebe es keine Rekorde – so etwas werde es im traditionellen Alpinismus nie geben. «Ich habe in meinem Leben so viel gewonnen, dass ich heute voller Stolz sagen kann, dass ich ein glücklicher Mann bin!» (SDA/neo)

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