Jene Franzosen, die seinen Liberalismus, seine Unterstützung für Unternehmen und seine Rentenreform nicht ertragen, bezeichnen ihn als «Präsident der Reichen». Diejenigen, die ihm vorwerfen, dass er das Land nicht versteht, nennen ihn «abgehobener Präsident». Und diejenigen, die ihn nach den Militärputschen in Gabun und Niger bei internationalen Ereignissen für überfordert halten, bezeichnen ihn als «machtlosen Präsidenten».
Wenn man seinen politischen Gegnern zuhört – und das sind nicht wenige –, hat Kapitän Macron Schiffbruch erlitten. Er hat keine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung, seine Beliebtheitswerte in den Umfragen sind auf 30 Prozent gesunken. 2027 kann er nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren.
Er gibt nicht auf
In Wirklichkeit ist seine Zukunft nicht so düster. Emmanuel Macron hat nicht aufgegeben, Frankreich zu «transformieren», wie er es bei seiner ersten Wahl im Mai 2017 lautstark versprochen hatte.
Der Beweis: Obwohl Hunderttausende Franzosen zwischen Januar und Juli marschierten und protestierten, wird das gesetzliche Renteneintrittsalter an diesem Freitag von 62 auf 64 Jahre angehoben. Das ist zwar weniger als in den meisten europäischen Ländern, aber eine grosse Veränderung in einem Land, in dem ein Teil der Linken immer noch von der Rente mit 60 träumt.
Ein Vorteil für Macron, ist, dass seine Gegner nicht in der Lage sind, eine Mehrheit zu bilden und ihn die französische Verfassung vor einem Sturz schützt. Seine Stärke liegt jedoch vor allem darin, dass er die Mitte des politischen Spektrums besetzt. Dies zeigte sich erneut am 30. August, als er alle Parteien zusammenbrachte, um über Zukunftsvorschläge nachzudenken. Alle waren einverstanden. Er sprach mit ihnen über mögliche Referenden und hielt sich die Möglichkeit offen, das Parlament aufzulösen. Macron ist keineswegs ein zahnloser Präsident in seinem Élysée-Palast.
Im Kampf gegen die Islamisierung
Die Frage ist anderthalb Jahre nach seinem Wahlsieg gegen die nationalpopulistische Marine Le Pen (55) eher die nach dem «französischen System». Kann Macron den Laizismus angesichts des wachsenden Islams noch durchsetzen? Kann er das Land endlich dazu bringen, die Einwanderung zu beschränken? Kann er endlich die Staatsverschuldung von drei Billionen Euro abbauen?
Hier wirds für den jungen Präsidenten komplizierter. Das zeigt sich in diesen Tagen an seiner Entscheidung, das Tragen der Abaya, des langen islamischen Gewandes, in den Schulen zu verbieten. Theoretisch ist diese strikte Anwendung des Gesetzes von 2004 über das Verbot religiöser Symbole in Schulen populär. Aber wie kann es durchgesetzt werden? Die sechs Millionen Muslime in Frankreich, das sind zehn Prozent der Bevölkerung, haben eine sehr starke Lobby. Die radikale Linke hat ein Auge auf ihre Stimmen geworfen.
Dasselbe gilt für die Beamten in einem anderen Bereich. Auch sie sind etwa sechs Millionen. Sie wehren sich gegen allzu «liberale» Sozialreformen. Kritik am Verfall der öffentlichen Dienste begegnen sie mit der Begründung von Personalmangel. Macron steckt in der Klemme eines Staates, der gleichzeitig übermächtig, zentralisiert und gelähmt ist.
Der Sprinter und Slalomkünstler
Wie kommt man da raus? Macron versuchts mit Sprints und abrupten Wendungen. Das zeigt sich in diesen Tagen in Bezug auf Afrika. Macron hat verstanden, dass «la Françafrique» tot ist. Er sagt es und steht dazu. Er will die gebildete, pro-europäische, liberale, unternehmerische Jugend ansprechen. Er überspielt seine Ablehnung des Rassemblement National von Marine Le Pen, die bereits als Favoritin für 2027 gehandelt wird. Er nutzt die Quasi-Vollmachten, die ihm das französische Präsidialsystem verleiht.
Macron weiss, dass er unbeliebt ist. Die immer wiederkehrenden Unruhen in den Vorstädten haben ihm bewiesen, dass Frankreich ein Dampfkochtopf ist. Aber er setzt auf seinen guten Ruf in den Schwellenländern und auf das kurze Gedächtnis seiner Landsleute. Er hofft, von der Beruhigung der Lage und dem aufkeimenden Stolz der Tricolore auf die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris profitieren zu können.
Ein Teil des Landes widersetzt sich ihm zwar, aber Macron, ein guter Tennisspieler, geht ans Netz, um die Punkte mit einem Smash zu beenden. Er ist davon überzeugt, dass Frankreich nur gegen sich selbst verändert werden kann. Er steht dazu – und kämpft weiter.