Frankreich brennt! Bereits die dritte Nacht in Folge kommt es zu heftigen Krawallen im Land. Nach dem Tod von Nahel M.* (†17), der bei einer Polizeikontrolle in einem Pariser Vorort erschossen wurde, kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. Die Proteste weiten sich sogar auf das Nachbarland Belgien aus. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist passiert?
Der Teenager Nahel M. wurde am Dienstag auf dem Fahrersitz eines Autos bei einer Verkehrskontrolle in Nanterre erschossen. In einem Video war zu sehen, wie der Polizist mit seiner Waffe auf den Fahrer zielt und aus nächster Nähe schiesst, als das Auto plötzlich beschleunigt. Bei der Kontrolle war zuvor der Satz zu hören: «Du kriegst eine Kugel in den Kopf!»
Nach einer ersten Untersuchung stellte der örtliche Staatsanwalt fest, dass die Voraussetzungen für den rechtmässigen Einsatz der Waffe nicht erfüllt waren. Der verantwortliche Polizist muss sich nun wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Aktuell sitzt er in Untersuchungshaft.
Wer geht jetzt auf die Strasse?
Bewohner der armen Banlieues und Menschenrechtsaktivisten gehen zu Tausenden auf die Strasse. Sie sind der Meinung, dass die französische Polizei rassistisch sei. Ausserdem kommen die Beamten laut den Aktivisten zu oft ungestraft davon, wenn sie brutal handeln. Für sie ist das zum Teil auf einen institutionellen Rassismus im Polizeisystem und in Frankreich selbst zurückzuführen.
Mehr zu Krawallen in Frankreich
Crystal Fleming, eine Soziologieprofessorin an der Stony Brook University, die zu Rassismus in den USA und in Frankreich forscht, sagt gegenüber France24: «Ich frage mich wirklich, wie viele Menschen noch ein solches Ausmass an Brutalität erleben müssen, bevor anerkannt wird, dass der systemische Rassismus in Frankreich real ist und angegangen werden muss.»
Wo wird überall protestiert?
Es ist bereits die dritte Krawall-Nacht in Frankreich. Sogar in Belgien kam es zu Protesten. In Nanterre bei Paris wurde am Donnerstagabend eine Bankfiliale in Brand gesetzt, dabei griffen die Flammen auf ein Wohnhaus über. In der Hafenstadt Marseille gerieten Hunderte Protestierende mit der Polizei aneinander, Geschäfte wurden geplündert und 14 Menschen festgenommen. In Lille, Lyon und in Bordeaux kamen Spezialeinheiten der Polizei zum Einsatz. In Grenoble wurde ein Bus mit Feuerwerkskörpern beschossen.
Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Ordnungskräften. Etwa zehn Menschen wurden festgenommen, wie die Polizei am Donnerstagabend mitteilte. Jugendliche hätten sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ordnungskräften geliefert und es habe mehrere Brände gegeben. Wie die Brüsseler Verkehrsgesellschaft auf Twitter mitteilte, wurde ein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs eingestellt.
Belgische Medien zeigten Bilder eines brennenden Autos und von Polizisten in Kampfmontur. Laut Polizei hatten Jugendliche am Donnerstag in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, sich als Reaktion auf den Tod des 17-Jährigen in Frankreich zu versammeln. Spannungen gab es laut der belgischen Nachrichtenagentur Belga vor allem rund um das zentral gelegene Stadtviertel Anneessens.
Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Ordnungskräften. Etwa zehn Menschen wurden festgenommen, wie die Polizei am Donnerstagabend mitteilte. Jugendliche hätten sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ordnungskräften geliefert und es habe mehrere Brände gegeben. Wie die Brüsseler Verkehrsgesellschaft auf Twitter mitteilte, wurde ein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs eingestellt.
Belgische Medien zeigten Bilder eines brennenden Autos und von Polizisten in Kampfmontur. Laut Polizei hatten Jugendliche am Donnerstag in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, sich als Reaktion auf den Tod des 17-Jährigen in Frankreich zu versammeln. Spannungen gab es laut der belgischen Nachrichtenagentur Belga vor allem rund um das zentral gelegene Stadtviertel Anneessens.
Zudem wurden nach Angaben aus Polizeikreisen Eliteeinheiten nach Toulouse, Nantes, Marseille, Lyon, Bordeaux und Rennes entsandt. Die Polizei stellte sich auf weitere gewaltsame Proteste und «Angriffe auf Ordnungskräfte und Symbole des Staates» ein, wie aus einem internen Schreiben hervorging.
667 Menschen wurden nach Angaben des Innenministeriums in der Nacht auf Freitag festgenommen und 249 Polizeibeamte verletzt. Landesweit waren in der Nacht 40'000 Polizisten im Einsatz, um sich den Ausschreitungen entgegenzustellen, 5000 davon in Paris. Die Hauptstadt berief einen Krisenstab ein.
Wieso ist die Lage so eskaliert?
Der Tod von Nahel M. am Dienstag war bereits die dritte tödliche Schiesserei bei Verkehrskontrollen in Frankreich im Jahr 2023, so ein Sprecher der französischen Polizei. Der Vorfall hat die seit langem bestehenden Beschwerden über Polizeigewalt und Rassismus innerhalb der Strafverfolgungsbehörden wieder verstärkt. Obwohl mangels Daten keine präzise Statistik existiert, gilt die französische Polizei im europäischen Vergleich unter Experten als besonders aggressiv.
Dann ist da noch die Situation in den Banlieues. In den letzten Jahren war die Lage dort relativ ruhig. Die derzeitige Regierung erklärt dies zum Teil mit dem besseren Zugang zu Arbeitsplätzen unter Präsident Emmanuel Macron (45) und mehr Investitionen in den ärmeren Vorstädten. Aber die Zutaten für die Unruhen sind geblieben – der Hass auf die Polizei, die Drogenkriminalität und das Gefühl, dass die französische Politik nicht mehr funktioniert.
Sind solche Proteste neu für Frankreich?
Nein. Unruhen, die mit Vorwürfen der Polizeibrutalität einhergehen, können in Frankreich sehr schnell eskalieren. Während der Proteste der Gelbwesten in den Jahren 2018 und 2019 kam es zu einer Spirale der Gewalt, als die Demonstranten ihrer Wut auf der Strasse freien Lauf liessen und die Sicherheitskräfte mit harter Hand vorgingen.
Im Jahr 2005 wurde der damalige Präsident Nicolas Sarkozy (68) beschuldigt, mit Äusserungen, er wolle in den Banlieues «aufräumen», Unruhe zu stiften. Auch damals eskalierte die Situation, während Wochen kam es zu Krawallen. Um die Unruhen zu beenden, sah sich die Regierung gezwungen, den Ausnahmezustand zu verhängen. Angesichts der aktuellen Lage könnte Frankreich heute ähnliches drohen und eine neue Eskalationsstufe könnte erreicht werden.
Was bedeuten die Unruhen für Emmanuel Macron?
Der Zeitpunkt des tragischen Todes von Nahel M. könnte nicht schlechter sein für Macron. Frankreich hat gerade erst wochenlange Proteste gegen Reformen hinter sich, durch die das gesetzliche Rentenalter von 62 auf 64 Jahre angehoben wurde. Macron ist zudem noch immer vom Verlust seiner Mehrheit bei den Parlamentswahlen letztes Jahr geschwächt.
Macron hat für Freitagmittag eine Krisensitzung einberufen. Angesichts der anhaltenden Krawalle in Frankreich hat er an das Verantwortungsbewusstsein von Eltern appelliert. Ein Drittel der Festgenommenen in der vergangenen Nacht seien Jugendliche. Das sagte Macron am Freitag nach einem interministeriellen Krisentreffen in Paris. «Und ich appelliere an das Verantwortungsbewusstsein der Mütter und Väter. Die Republik ist nicht dazu berufen, an ihre Stelle zu treten», so der Präsident.
Weiter hat Macron angekündigt, dass zusätzliche Sicherheitskräfte eingesetzt würden, um die landesweiten Unruhen einzudämmen. Das Innenministerium werde «zusätzliche Mittel» mobilisieren, um gegen die gewalttätigen Proteste vorzugehen, und prangerte die «inakzeptable Ausnutzung des Todes eines Heranwachsenden» an.
*Name bekannt