Zwar vereinzelte Entlassungswellen – Wirtschaft aber erstaunlich stabil
Schweizer Jobmarkt trotzt der Krisenstimmung

Der Arbeitsmarkt in der Schweiz erweist sich als robuster als befürchtet. Es gibt aber Branchen, in denen die Arbeitslosigkeit steigt. Wir zeigen dir, wo es Tolggen im Reinheft gibt.
Publiziert: 24.01.2025 um 14:50 Uhr
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Massenentlassungen sind in der Schweiz trotz Krisenstimmung ein Randphänomen. Im Bild: Demonstration für den Erhalt des Stahlwerks Gerlafingen.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Peter Rohner
Peter Rohner
Handelszeitung

Eine Entlassungswelle hier, ein Sparprogramm da. Kriselnde Stahlwerke als Bittsteller beim Staat und eine Nationalbank, die sich mit aggressiven Zinssenkungen ins Zeug legt: Die Schweizer Wirtschaft wirkt angeschlagen, und die Jobaussichten scheinen düster. Doch so schlecht, wie es die Nachrichten suggerieren, ist die Lage nicht. Im Gegenteil.

Produktionsschliessungen sind Einzelfälle. Entlassungen und Langzeitarbeitslosigkeit sind kein Massenphänomen. Die lockere Geldpolitik der SNB ist auch keine Panikreaktion auf eine Krise, sondern eine präventive Massnahme gegen zu wenig Inflation und einen zu starken Franken.

Nur leichter Anstieg der Arbeitslosenquote

Gewiss hat der Wind auch hierzulande etwas gedreht. Der Post-Corona-Boom ist vorbei, und die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) haben wieder mehr zu tun: 209’000 Personen waren Ende Dezember dort angemeldet. Davon waren 130’000 arbeitslos – das sind 23’400 mehr als im Dezember vor einem Jahr.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Im Verhältnis zu den rund 4,6 Millionen Erwerbspersonen ergibt sich eine Arbeitslosenquote von 2,8 Prozent. Saisonal bereinigt – im Winter sind wetterbedingt vor allem im Baugewerbe mehr Leute arbeitslos gemeldet – beträgt die Quote 2,6 Prozent. Das sind 0,6 Prozentpunkte mehr als zum Tiefpunkt 2023, aber alarmierend ist das nicht.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) spricht deshalb immer noch von einer «guten Arbeitsmarktlage». Beim Anstieg der Arbeitslosenquote handle es sich bloss um eine Normalisierung von einem aussergewöhnlich tiefen Niveau aus. Zuversichtlich stimmt auch, dass sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht beschleunigt hat und die saisonal bereinigte Quote seit September 2024 stabil ist.

Keine Verschiebung in die Sozialhilfe oder die IV

Es ist auch nicht so, dass das wahre Ausmass der beruflichen Inaktivität durch die Arbeitslosenquote unterschätzt wird, die ja nur die bei den RAV gemeldeten Arbeitslosen umfasst. Die Zahl der Ausgesteuerten ist ebenfalls stabil, und auch bei der Invalidenversicherung ist kein Anstieg zu beobachten.

Im Oktober verloren zwar 2600 Personen das Recht auf Arbeitslosenentschädigung und damit 30 Prozent mehr als im September und 40 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Doch im Sechsmonatemittel bewegt sich die Zahl der Ausgesteuerten auf dem Niveau von 2022 und unter dem langjährigen Durchschnitt. 

Auch zeigen Untersuchungen zwischen 2019 und 2023, dass bereits im ersten Jahr nach der Aussteuerung mehr als die Hälfte der ausgesteuerten Personen wieder eine Stelle hat. 

Dazu passt auch – und das ist eine weitere gute Nachricht –, dass die Sozialhilfequote auf den tiefsten Stand seit 2005 gefallen ist, was die Statistikerinnen und Statistiker dem starken Arbeitsmarkt zuschreiben.

Ein Tolggen im Reinheft

Und doch ist nicht alles im Lot. Das Sorgenkind der Schweizer Wirtschaft ist das exportorientierte verarbeitende Gewerbe. Die Flaute dort dauert nun schon zwei Jahre an. Der Einkaufsmanagerindex PMI liegt seit Anfang 2023 unter der Wachstumsschwelle von fünfzig; das passiert, wenn die Mehrheit der befragten Unternehmen einen Produktionsrückgang melden. Das grösste Hindernis ist nicht mehr der Fachkräftemangel, sondern die Nachfrageschwäche.

Foto: Handelszeitung

Das schlägt sich auch auf die Beschäftigung nieder. Der entsprechende Subindex zeigt ebenfalls nach unten. Das heisst, dass in der Summe Stellen abgebaut werden. Die Arbeitslosenquote in diesem Teilbereich der Wirtschaft ist von 2,2 Prozent 2023 auf 3,7 Prozent gestiegen – und liegt damit deutlich höher als im Dienstleistungssektor.

Arbeitslosigkeit in der Uhrenindustrie hat sich verdoppelt

Am schwierigsten ist die Situation in der Uhrenbranche. Dort hat sich die Arbeitslosenquote innerhalb von einem Jahr fast verdoppelt und ist mittlerweile so hoch wie im Gastgewerbe, der Branche mit den tiefsten Qualifikationsanforderungen und einer strukturell hohen Arbeitslosigkeit.

Foto: Handelszeitung

Anders als auf gesamtwirtschaftlicher Ebene zeigen die Arbeitslosenzahlen in der Uhrenbranche und in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) nur die halbe Wahrheit über die Jobbedingungen. Denn bevor Unternehmen Leute entlassen, führen sie in der Regel Kurzarbeit ein, wofür sie vom Bund Entschädigung beantragen können. Letztes Jahr wurden bis und mit Oktober 133 Millionen Franken an Kurzarbeitsentschädigung ausgezahlt, mehr als doppelt so viel wie in der Vergleichsperiode im Vorjahr.

Detailzahlen zeigen: Die Anträge kommen hauptsächlich aus der Uhren- und der MEM-Industrie. Im Schnitt machten sie 7100 der monatlich 8700 Fälle aus. Und der Trend zeigt steil nach oben. Im Dezember zählte das Seco Voranmeldungen für 23’400 Arbeitnehmende, 19’600 aus der Uhren- und MEM-Branche. Erfahrungsgemäss kommt es in etwas mehr als der Hälfte der Voranmeldungen dann auch zu Auszahlungen.

Stabile Aussichten

Das Problem dürfte aber auf die Uhren- und die MEM-Branche begrenzt bleiben. Und sie ist zu klein, um die Gesamtwirtschaft nach unten zu ziehen und die RAV landesweit stark zu beschäftigen.

Das Seco rechnet für dieses und nächstes Jahr mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 2,7 Prozent, nach 2,4 Prozent im vergangenen Jahr. Dieser Schätzung liegt eine BIP-Prognose von 1,5 Prozent Wachstum zugrunde. Das ist laut Seco-Chefökonom Eric Scheidegger zu wenig, um einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit zu bewirken, aber genug, um einen weiteren Anstieg zu verhindern.

Die UBS geht in ihrer am Dienstag vorgestellten Prognose von einem Anstieg auf 2,8 Prozent aus. Das ist auch das Niveau, das gemäss Seco-Schätzung als «konjunkturneutral» gilt und bei dem der Arbeitsmarkt im Gleichgewicht ist.

Und selbst für die Industrie gibt es ein Fünkchen Hoffnung: In den Umfragen der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich geben sich die Unternehmen seit Monaten optimistischer. Die Indikatoren zur erwarteten Produktion und Geschäftslage zeigen nach oben. Das ist nötig, damit aus der Kurzarbeitsentschädigung keine Langzeitarbeitslosenunterstützung wird.

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