Wer im Ausland Ferien macht, profitiert derzeit vom starken Franken, der den Auslandaufenthalt deutlich günstiger macht. Seit Anfang Woche pendelt der Euro knapp über oder teilweise gar unter der Grenze von 0,96 Franken. Aktuell hat sich der Kurs zwar wieder etwas stabilisiert. Doch viele Experten gehen davon aus, dass der Franken in den nächsten Wochen und Monaten gegenüber dem Euro weiter an Wert gewinnt.
Pessimistische Prognosen – wie jene der US-Investmentbank Goldman Sachs – rechnen damit, dass der Euro unter 90 Rappen fallen könnte. Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff (61) schätzt die Situation weniger dramatisch ein. «Ein Kurs unter 0,9 Franken ist sicher nicht ausgeschlossen», sagt er zwar. In den nächsten Monaten hält er eine derartige Entwicklung jedoch für unrealistisch. «Wir rechnen in einem 12-Monatshorizont mit einem Wechselkurs von 0,93 bis 0,94 Franken pro Euro.»
Franken als «sicherer Hafen» gefragt
Die aktuelle Frankenaufwertung hat mehrere Gründe. «Während sich der Euro sensitiv zu den Energie- und Rezessionsrisiken in der Eurozone zeigt, macht die schweizerische Wirtschaft – und damit auch der Schweizer Franken – einen stabileren Eindruck», sagt Patrick Ernst (30), Anlagestratege bei der Credit Suisse. Zudem sei der Franken zuletzt durch seine Eigenschaft als «sicherer Hafen» stärker nachgefragt worden.
Und auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat zur Frankenstärke beigetragen. Die SNB hat den Leitzins im Kampf gegen die Inflation vor zweieinhalb Monaten überraschend um 0,5 Prozent erhöht. Gleichzeitig legt die Europäische Zentralbank (EZB) bei der Eindämmung der hohen Inflation im Euro-Raum deutlich mehr Zurückhaltung an den Tag: Sie erhöhte die Zinsen erst nach der SNB. Die EZB hält sich bei den Zinsschritten zurück, weil sie fürchtet, ansonsten schwer verschuldete Staaten wie Italien, Griechenland oder Spanien vor grosse Probleme zu stellen.
Schadet die Frankenstärke der Industrie?
Wird der Franken zu stark, wird dies für die Schweizer Exportwirtschaft zum Problem. Beim Schweizer Schienenfahrzeughersteller Stadler Rail liegen die Wechselkursverluste beispielsweise im zweistelligen Millionenbereich.
Für die meisten Industriefirmen stellt die Frankenstärke aktuell aber noch kein grosses Problem dar, wie Raiffeisen-Chefökonom Neff betont: «Auch die neuerliche Aufwertung hat daran wenig geändert.» Die Aufwertung des Frankens gleicht den Firmen die Teuerung auf importierte Rohstoffe und Komponenten zu einem grossen Teil aus. «Die Industrie leidet nach wie vor eher unter Lieferkettenproblemen. Die Auslastung ist nach wie vor gut», so Neff.
Die Situation in der Industrie könnte sich jedoch ändern, wenn der Euro im Laufe der nächsten Monate tatsächlich unter 90 Rappen fallen würde. Das könnte beispielsweise passieren, wenn der Euro-Raum in eine tiefe Rezession stürzt.