In einer Woche präsentiert Peter Spuhler (63) die Halbjahreszahlen seines Konzerns Stadler Rail. Die Vorzeichen schrecken die Anleger ab. An der Börse macht sich bereits Nervosität breit: Der Aktienkurs brach seit dem 16. August um beinahe 8 Prozent ein. Gestern Mittwoch ging die Aktie mit 29.14 Franken aus dem Handel. Beim Börsengang 2019 noch als «Volksaktie» betitelt, ist die Stadler-Aktie aktuell so wenig Wert wie noch nie.
Analysten gehen davon aus, dass der Konzern seine Ziele deutlich verfehlen wird. «Auf der Gewinnseite dürfte im ersten Halbjahr nicht allzu viel übrig bleiben», sagt etwa Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler (47). Ein «wesentliches Problem» sei der Wechselkurs: Der zuletzt nochmals erstarkte Franken frisst dem Konzern einen grossen Teil der Marge weg. Bereits im letzten Jahr sorgte der schwache Euro für einen Währungsverlust von mehr als 37 Millionen Franken.
Stadler leidet besonders
Ein weiteres Problem ist die Teuerung. Die Strompreise steigen rasant an und die Produktion von Eisenbahnwagen ist sehr energieintensiv. Zudem steigen auch die Materialpreise aufgrund der Inflation an. «Diese Preissteigerungen treffen Stadler Rail besonders hart», sagt Geissbühler.
Der Grund dafür liegt in den Auftragsbüchern versteckt. Diese sind zwar übervoll: Der Konzern hat für die kommenden Jahre Aufträge mit einem Gesamtvolumen von beinahe 18 Milliarden Franken an Land gezogen. Ein riesiger Erfolg, der jedoch mit einem Wermutstropfen behaftet ist. «Bei schätzungsweise 70 Prozent dieser Verträge sind die Preise fix», so der Analyst.
Stadler Rail kann die steigenden Preise bei vielen Grossaufträgen also nicht an die Kunden weitergeben. Da solche Aufträge oft über mehrere Jahre laufen, macht sich hier eine hohe Inflation ganz besonders bemerkbar.
Wird das Ziel erneut nach unten korrigiert?
Hinzu kommen die nach wie vor nicht reibungslos laufenden Lieferketten sowie die herausfordernde Situation in den Fabriken. Wegen der massiven Drosslung der Produktion im grossen Werk in Fanipol in Weissrussland mussten grosse Kapazitäten ins Ausland verlegt werden. Die Credit Suisse rechnete Ende Juli in einer Analyse vor, dass die Margen in diesem Jahr auch unter einem «Produktivitätsverlust in den Fabriken» leiden würden.
Die schwierigen Rahmenbedingungen für Stadler Rail dürften noch länger anhalten, schätzt Richard Frei (49), Analyst bei der Zürcher Kantonalbank: «Wegen der hohen Inflation im Euro-Raum muss der Konzern im Ausland beispielsweise mit Lohnerhöhungen rechnen.»
Stadler Rail musste sein mittelfristiges Ziel, die Marge auf 8 bis 9 Prozent zu erhöhen, bereits im März nach hinten schieben. Mehre Analysten gehen davon aus, dass Stadler Rail dieses Ziel nochmals korrigieren muss.
Auch Konkurrenz betroffen
In den letzten Wochen hatten auch die beiden US-Finanzhäuser JP Morgan und Bank of America ein düsteres Jahr für die Schweizer Schienenfahrzeugbauerin vorhergesagt und den Aktienkurs damit weiter unter Druck gebracht.
Die Probleme treffen aber auch die Stadler-Konkurrenz hart: So hat die Bank of America auch für den französischen Schienenfahrzeugbaukonzern Alstom ein schwieriges Jahr prognostiziert.
Stadler Rail will gegenüber Blick nicht zu den aktuellen Schwierigkeiten Stellung nehmen: «Aufgrund der Publikation der Halbjahreszahlen am 31. August 2022 können wir Ihre Anfrage aktuell leider nicht beantworten», lässt die Medienabteilung ausrichten.
Bessere Zeiten in Aussicht
An der Bilanzmedienkonferenz im März verbreitete Konzernchef Peter Spuhler mit Blick auf das laufende Jahr noch jede Menge Optimismus – wies aber bereits auf die grossen Herausforderungen hin. Seither haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Stadler Rail weiter verschlechtert.
Zumindest ein Blick auf die langfristigen Prognosen dürfte die Anleger beruhigen: «Mit Blick auf den Klimawandel und den Ausbau der CO₂-neutralen Bahninfrastruktur sowie die vollen Auftragsbücher dürften auch wieder bessere Zeiten auf Stadler Rail zukommen», sagt Raiffeisen-Analyst Geissbühler.
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