Der Franken ist zum Euro so stark wie nie. Am Montagmorgen ist die Gemeinschaftswährung auf den tiefsten je gehandelten Stand gefallen. Darüber, ob der Abwärtstrend noch länger anhält, gehen die Meinungen der Devisenfachleute allerdings auseinander.
Als Gründe für die aktuelle Franken-Stärke werden einmal mehr der Ukraine-Krieg, die zögerliche Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB), die drohende Energiekrise in Europa sowie die tiefere Inflation in der Schweiz genannt. Am Montag wird ein Euro zu 0,96345 Franken gehandelt und somit zum tiefsten je gehandelten Euro-Franken-Kurs.
Schon am Tiefpunkt?
Einzig am «Chaostag», als die SNB im Januar 2015 den Euromindestkurs von 1,20 Franken aufgehoben hatte, könnte er vorübergehend noch tiefer gefallen sein. Zum Vergleich: Bei der Einführung des Euro am 1. Januar 2002 kostete der Euro 1,48 Franken und stieg in den Jahren danach vorübergehend auf mehr als 1,60 Franken.
Ob der Euro nun den Tiefpunkt schon gesehen hat, sei schwer zu sagen, sagte Thomas Heller, Anlagechef (CIO) bei Belvédère Asset Management, gegenüber der Nachrichtenagentur AWP. Es scheine aber viel Negatives im Euro-Kurs eingepreist zu sein. «Ich gehe nicht davon aus, dass sich der Abwärtstrend der letzten zwei Monate ungebremst fortsetzen wird, sondern sehe eher sogar die Möglichkeit einer gewissen Gegenbewegung.»
Analystenerwartungen
Nach Ansicht der Devisenexperten der Credit Suisse dürfte sich der Euro ebenfalls nur noch wenig abwärts bewegen. Die Grossbank prognostiziert einen Euro-Kurs von 96 Rappen auf Sicht von drei Monaten. Sie erwartet die Gemeinschaftswährung somit etwa auf dem aktuellen Kursniveau.
John Plassard, Analyst bei Bank Mirabaud, erwartet dagegen, dass der Euro zum Franken in Richtung der Marke von 0,95 sinken wird. Der 16. Juni, als die SNB nicht nur unerwartet, sondern auch unerwartet stark, den Leitzins auf noch -0,25 von bisher -0,75 Prozent erhöht hatte, sei das Schlüsseldatum für die Entwicklung des Frankens gegenüber einem Korb internationaler Währungen gewesen, sagte Plassard.
Damals hatte SNB-Präsident Thomas Jordan erklärt, «dass der Schweizer Franken nicht mehr auf einem hohen Niveau notiert. Zuvor war der Franken jahrelang als überbewertet bezeichnet worden.»
Inflationsbekämpfung dank Währungsaufwertung
Die Zinserwartungen lassen einen weiterhin starken Franken erwarten. Die CS rechnet damit, dass die Währungshüter den Leitzins im September um weitere 25 BP erhöhen. Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, erwartet, dass die SNB den Leitzins in mehreren Schritten bis Mitte 2023 auf 1,50 Prozent anheben dürfte.
Die SNB habe nicht ganz überraschend eine gewisse Aufwertung des Franken zugelassen, erklärt Belvédère-CIO Heller. Dies helfe ihr bei der Inflationsbekämpfung. Nur solle das Ganze aus Sicht der SNB einigermassen geordnet ablaufen. Dazu sei sie weiterhin bereit, bei Bedarf zu intervenieren. Und dies habe die SNB zuletzt auch schon getan, sagte er.
Ein Indiz dafür ist die Zunahme der Sichtguthaben der Banken bei der SNB, wie Heller sagt. Diese sind in den vergangenen fünf Wochen hintereinander um mehrere Milliarden Franken gestiegen. Die Entwicklung der Sichtguthaben gilt als Indiz dafür, ob die SNB am Devisenmarkt interveniert, um den Kurs des Schweizer Frankens zu beeinflussen.
«Unwahrscheinliche Intervention»
«Ich denke nicht, dass die SNB am Devisenmarkt interveniert hat», sagt dagegen Maxime Botteron, Ökonom bei der Credit Suisse. Die SNB führe regelmässig Repotransaktionen durch, die ebenfalls zu einem Anstieg der Sichtguthaben bei der Nationalbank führen könnten. Denn solange die Inflation (in der Schweiz) mehr als drei Prozent betrage und die SNB einen restriktiven Geldkurs fahre, sei es eher unwahrscheinlich, dass die SNB interveniere, meint Botteron.
Eine rote Linie, an der die SNB am Devisenmarkt eingreife, sehen die Ökonomen nicht. Nach Ansicht von Heller dürfte es sich dabei ohnehin eher um ein «Moving Target» handeln. (lui/SDA)