Auf der Schiene wird es langsam eng. Wegen der Sperrung des Gotthard-Basistunnels sind in der Schweiz die Abstellplätze für Güterzüge bereits komplett belegt, der Stau dehnt sich auf das benachbarte Ausland aus. «Es kann vier Wochen dauern, um den Rückstau auf der Schiene abzuarbeiten», erklärt Hans-Jörg Bertschi (66), Chef des gleichnamigen Transportunternehmens.
Der Stau auf der Schiene ist bereits auf der Strasse zu spüren, sagt Nicolas Legler (49), Leiter Transport National beim Speditionsunternehmen Schöni: «Schon jetzt spüren wir, wie der Verkehr auf der Strasse wieder anzieht. Chauffeure melden lange Wartezeiten vor dem Gotthard-Strassentunnel.» Das geht für die Spediteure schnell einmal ins Geld. «Die Sperrung des Basistunnels kostet uns ein paar Tausend Franken pro Tag», so Legler.
Vielleicht schon in einer Woche
Auf der Schiene kann pro LKW mehr geladen werden. Die Schienenfracht muss deshalb auf zusätzliche Lastwagen verteilt werden. Das bedeutet mehr Fahrten, mehr Kosten für Diesel und die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA).
Nur schon deswegen ist Nervosität in der Branche gross. «Aufgrund der Entgleisung eines Güterzugwagens bleibt der Gotthard-Basistunnel für den Güter- und Personenverkehr gesperrt», meldeten die SBB am Montagabend. Ohne Angabe eines konkreten Datums der Wiedereröffnung.
Blick allerdings weiss: Wenn alles gut läuft, könnte die Verzögerung weniger lang sein als befürchtet. Die Sperrung des Basistunnels könnte nur noch bis kommenden Dienstag dauern. Das bestätigen mehrere Quellen aus der Transportbranche unabhängig voneinander.
Transporteure hoffen
«Ich hoffe, die Strecke geht am kommenden Dienstag wieder auf», sagt Transportunternehmer Bertschi zu Blick. Auch Benjamin Giezendanner (41) hofft: «Wenn die Sperrung nur noch eine Woche dauert, dann können wir damit noch leben.» Der Transportunternehmer und Politiker war am Dienstagvormittag in einer Sitzung der Verkehrskommission des Nationalrates, meldet sich in einer Pause bei Blick. «Falls es doch noch länger dauern sollte, wäre ich deutlich nervöser, als ich es jetzt bin.»
Am Montagabend hatten die SBB auch mitgeteilt, die Dauer der Reparaturarbeiten sei noch nicht abschätzbar. Die Bahn will sich zu den Informationen von Blick nicht äussern und verweist auf Mittwoch. «Die SBB arbeiten mit Hochdruck daran, die unbeschädigte Tunnelröhre rasch möglichst in Betrieb nehmen zu können, also eine von zwei Tunnelröhren», heisst es lediglich auf Anfrage von Blick.
Transportpreise könnten sich verdreifachen
Für die Transportunternehmer ist klar: Jetzt muss es schnell gehen. Derzeit sind die Auswirkungen der Sperrung des Gotthard-Basistunnels noch verkraftbar. Dauert es länger, könnten sich die Preise für den Warentransport verdoppeln oder gar verdreifachen.
Legler von Schöni warnt denn auch: «Noch sind die Lieferketten nicht unterbrochen, höchstens verzögert. Das hat auch damit zu tun, dass die Industrie in Italien noch in den Ferien ist.»
Doch auch in Italien neigen sich diese dem Ende zu, die Zeit wird langsam knapp, um zumindest eine der Röhren wieder in Betrieb zu nehmen. Zumal die Ausweichrouten über den Lötschberg-Simplon-Korridor oder den Brenner nicht den gesamten Gotthard-Güterverkehr bewältigen können.
Es drohen Engpässe
Und selbst die Strasse ist keine wirkliche Alternative: «Wenn die Kapazität anzieht, dann kann die Strasse nicht alles auffangen», ist Giezendanner besorgt. So sei etwa die Versorgung der Tessiner Spitäler mit Stickstoff oder Sauerstoff schon jetzt sehr schwierig. Als Nächstes würde es Lebensmittel treffen, die auf eine intakte Kühlkette angewiesen sind. «Wenn der Gotthard einen Monat zu ist, haben wir ein gigantisches Problem», prognostiziert Giezendanner.
Noch ist es nicht so weit. Trotzdem könnten die Logistiker – und die Umwelt – die Sperrung des Tunnels noch lange spüren. «Die Schiene ist eh schon unter Druck: Zum ersten Mal seit 20 Jahren geht der Anteil des kombinierten Verkehrs über die Bahn im Alpentransit zurück und der Marktanteil der Strasse steigt wieder», mahnt Bertschi, der auch Präsident von Hupac ist. Die Gruppe ist führend im kombinierten Verkehr, der für weite Strecken, die Lastwagen auf die Schiene verfrachtet.
Bertschis Befürchtung: «Ein Teil des verlagerten Verkehrs kommt nicht mehr zurück, auch weil die Preise für den Güterverkehr auf der Schiene stärker gestiegen sind als auf der Strasse.»