Im Sommer bricht in der Schweiz eine neue Ära im Zahlungsverkehr an – eigentlich. Ab dann sollen Überweisungen in Sekundenschnelle erfolgen – «Instant Payment» heisst die neue Blitzüberweisung in der Banker-Sprache. Doch die meisten Schweizer Banken verweigern ihren Kunden den technologischen Fortschritt. Das zeigt die Recherche der «Handelszeitung». Und wenn Banken mitziehen, dann voraussichtlich nur gegen Zusatzgebühren. Das war nicht im Sinne der Erfinder.
Worum geht es? Im August geht ein neues Schweizer Zahlungssystem mit dem Kürzel SIC5 an den Start. Das Revolutionäre daran: Banküberweisungen sollen ab dann nicht mehr nur zu Bürozeiten und mit teilweise langen Verzögerungen ausgeführt werden, sondern in Echtzeit. So, wie man das bisher eigentlich nur aus dem Kino kennt.
Geldtransfers in zehn Sekunden
Die SIX-Group, die den Zahlungsverkehr zusammen mit der Nationalbank abwickelt, spricht denn auch von einem «New Normal». Maximal zehn Sekunden, nachdem Kunde A auf «senden» klickte, soll das Geld auf dem Konto von Kundin B gutgeschrieben sein. Unwiderruflich, ohne Gegenparteienrisiken und Zusatzapps wie bei Twint.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Doch so schön die Vision, so traurig die Realität. Verpflichtet werden die meisten Banken lediglich, eingehende Instant Payments ab Ende August sofort gutzuschreiben. Ob sie die schnellen Zahlungen auch im Ausgang anbieten wollen, ist ihnen überlassen. Und die meisten wollen nicht.
Von Anfang an voll dabei sind Banken wie die UBS, Raiffeisen oder die Berner Kantonalbank. Doch dann hört es bald einmal auf. Selbst grosse Banken wie die Zürcher Kantonalbank oder die Postfinance – beide gelten als systemrelevant – warten bislang ab, wie sie gegenüber der «Handelszeitung» erklären.
Während die ZKB lediglich auf «später» verweist, nennt der einstige Zahlungsverkehr-Experte Postfinance auch Gründe für die Zurückhaltung. Man habe «eine strategische Entscheidung getroffen, Instant Payments schrittweise einzuführen, um das Risiko im Zusammenhang mit der Umsetzung des Projekts zu minimieren». Ende Jahr will die staatliche Bank dann mal «einen ersten Anwendungsfall pilotieren».
Diese Banken machen nicht mit
Explizite Absagen auf eine direkte Einführung machen auf Anfrage auch die Kantonalbanken von Basel-Stadt, Baselland, Luzern, Genf und Waadt sowie die Migros Bank, die Hypothekarbank Lenzburg und der mit letzterer verbandelte Online-Anbieter Neon. Die Liste könnte wohl beliebig verlängert werden.
Teilweise machen die Banken technische Probleme – etwa auch bei Systemlieferanten – geltend. Gleichzeitig dürften aber auch kommerzielle Gründe hinter dem Abwarten stehen. Denn nicht wenige Banken hoffen noch immer, die neue A-Post im Zahlungsverkehr gegen Zusatzgebühren verkaufen zu können, während Inlandzahlungen bislang für viele Kundinnen und Kunden kostenlos angeboten werden. Bevor sie eigene Preise setzen, wollen sie beobachten, wie sich der Markt entwickelt.
Als einzige bereits einen Tarif publiziert hat Raiffeisen. Firmenkunden sollen 50 Rappen für ausgehende Instant Payments bezahlen müssen, Privatkunden 2 Franken – wobei zwölf Zahlungen pro Jahr gratis sein sollen. Die UBS will noch nichts zum Pricing sagen, die BEKB stellt einen Tarif ab Juni in Aussicht.
Doch was rechtfertigt überhaupt einen Aufpreis? Einführen müssen die Banken das neue System so oder so. Zudem werden sie selbst für die Nutzung nicht mehr bezahlen müssen als bisher, wie die SIX bestätigt. «Grundsätzlich gibt es im SIC-System keinen Preisunterschied zwischen Instant-Zahlungen und ‹normalen›, also bisherigen Kundenzahlungen», so Sprecher Jürg Schneider.
Wie Banken die Sondergebühren rechtfertigen
Und so dürfte es auch Banken geben, die auf den Express-Zuschlag verzichten werden. «Ich glaube nicht, dass man das pricen kann, denn sonst nutzt das niemandem», sagte Marianne Wildi, Chefin der Hypothekarbank Lenzburg bereits im vergangenen Herbst in einem HZ-Interview. Doch auch die «Hypi» will derzeit noch keine konkreten Angaben zum eigenen Angebot machen.
Bankvertreter rechtfertigen die Gebühren mit Zusatzaufwand: «Die Einführung von Instant Payment führt bei Banken zu erheblichen Investitionen, etwa in die schnelle, automatisierte Prüfung von Zahlungsvorgängen. Banken müssen Wege finden, diese Investitionen zu amortisieren», sagt Adrian Calin, Leiter des Zahlungsverkehrsgeschäfts von J.P. Morgan in der Schweiz. Denn jede Überweisung muss zum Beispiel auf mögliche Geldwäscherisiken oder Betrug geprüft werden. Beim Instant Payment haben die Banksysteme dafür nur noch Sekunden, entsprechend müssen die Systeme dafür fit sein.
In der Schweiz droht damit sich zu wiederholen, was sich bereits in der EU abgespielt hat. In der EU existiert die Express-Zahlung bereits seit 2017. Doch weil auch dort viele Banken zögern, macht die EU nun Druck. Denn Ende 2021 erfolgten nur 11 Prozent aller Überweisungen via Instant Payment. Im November einigten sich daher Rat und Parlament darauf, dass Zahlungen für Beträge bis zu 10'000 Franken verbindlich innert zehn Sekunden abgewickelt werden müssen. Diese Regel gilt für alle 34 Länder im SEPA-Raum.
Die EU verbietet Extragebühren
Und weil auch Banken in der EU zunächst Sondergebühren für die Blitzüberweisung erhoben, und damit die Verbreitung des neuen Standards aus Sicht des Gesetzgebers verlangsamten, verdonnerte Brüssel die Banken nun dazu, dass die Gebühren für Instant Payments nicht teurer sein dürfen als bei Standardüberweisungen.
«Die EU pusht Instant Payments vor allem aus geopolitischen Erwägungen heraus», sagt Katja Lehr, Leiterin des Bereichs Marktlösungen für die EMEA-Region im Zahlungsverkehrsgeschäft von J.P. Morgan. Denn damit wolle sich Europa von der Abhängigkeit der Bezahlinfrastruktur ausländischer Anbieter befreien. Gemeint sind vor allem Visa und Mastercard: Heute fliessen fast alle Kartenzahlungen irgendwann mal über ein System der beiden amerikanischen Kreditkartenmultis.
Für das Zögern der Banken spricht nicht nur das Beobachten an der Gebühren-Front, sondern auch die Angst vor einer Kannibalisierung lukrativer anderer Geschäfte: mit dem mit Kreditkarten, Debitkarten oder Zahlungssystemen wie Twint verdienen die Banken heute gutes Geld.
Sorge um das lukrative Kartengeschäft
Firmen, die über solche Payment-Schemes Geld kassieren wollen, zahlen heute Gebühren von – je nach Vertrag – bis weit über 2 Prozent. Selbst Grosskunden wie Migros oder Coop zahlen rund 0,5 Prozent für eine Kreditkartenzahlung. Da wird um jeden Hundertstel hart verhandelt.
Langfristig könnten Instant Payments im Handel zu einer günstigeren Alternative für solche Kartenzahlungen werden. Etwa bei einem Juwelier, der für eine 20’000-Franken-Uhr heute schnell mal 200 Franken Kartengebühr bezahlt. Oder bei einem Autohändler.
Banken wie die UBS oder die an Viseca beteiligten Kantonalbanken haben folglich wenig Interesse daran, kostenlose Alternativen aufzubauen. Ähnlich ist die Konstellation bei Twint, das für viel Geld eine Zahlungsinfrastruktur aufgebaut hat, die vermeintliche Echtzeitzahlungen anbietet – bei der das Geld in Wahrheit aber stark zeitlich verzögert fliesst.
Schweden ist Vorreiter
Warum soll ein Kunde künftig noch per QR-Code eine für den Handel kostenpflichtige Zahlung auslösen, wenn er mit einem ähnlichen QR-Code und seiner Bank-App auch eine Echtzeit-Bankzahlung auslösen könnte? Die Konkurrenz ist real. «In Schweden hat Instant Payment Swish das Bezahlen mit Karte fast überholt», sagt JP-Morgan-Expertin Lehr. Das zeige ihrer Ansicht nach, dass es sehr wohl ein Kundenbedürfnis für den neuen Service gebe.
Dabei geht es nicht nur um klassische Banküberweisungen direkt von Konto zu Konto. Instant Payment könne auch Basis für neue, professionelle Zahlungssysteme werden. Eine echte Alternative zu Visa und Mastercard.
Daher raten die Experten der Unternehmensberatung Roland Berger Banken dazu, sich an die Spitze der Bewegung in Sachen Instant Payment zu stellen: Das biete die «Chance, durch ein verbessertes Kundenerlebnis Ertragspotenziale zu erschliessen», sagt Christian Hartmann, Payment-Experte bei Roland Berger. Der Trend gehe «eindeutig» Richtung einfacher und sofortiger Zahlungsmöglichkeiten, «sei es im Point of Sale oder im E-Commerce». Mittel- bis langfristig werde Instant Payment denn auch zum «neuen Standard».
Man könnte aber anfügen: So, wie Schweizer Banken derzeit trödeln, dürfte schnelles Überweisen in der Schweiz eher langfristig zum neuen Normal werden.