Wegen EU-Verhandlungen
Cassis liefert sich indirekten Schlagabtausch mit Martullo-Blocher

Ignazio Cassis sagte vor Gewerbevertretern, dass es rote Linien gegenüber Brüssel gebe. SVP-Vize Martullo-Blocher will nicht verhandeln.
Publiziert: 13.01.2024 um 13:34 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 14:54 Uhr
Andreas Valda
Handelszeitung

Der Bundesrat und die SVP kämpfen um die Deutungshoheit des Verhandlungsresultates der Sonderungsgespräche mit der EU. Am Freitag lieferten sich Aussenminister Ignazio Cassis und SVP-Vizepräsidentin Magdalena Martullo-Blocher ein Fernduell. Der gewählte Ort war Klosters, der Anlass die Winterkonferenz des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV). Der Freitag war der EU-Politik gewidmet.

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Bundesrat Ignazio Cassis hielt an der Winterkonferenz des Schweizerischen Gewerbeverbandes eine Rede zur EU-Politik.
Foto: Keystone

Gegenspielerin Martullo-Blocher ergriff als erste die Chance. Sie war zwar nicht als Rednerin des Events geladen. Aber sie nahm ungefragt Stellung dazu. Sie tat dies im Anschluss einer Podiumsdebatte und erklärte den rund 100 anwesenden Gewerbevertretern, warum sie sich aus ihrer Sicht weitere Verhandlungen erübrigten.

Martullo-Blochers drei Punkte gegen Pläne von Bundesrat

Erstens sei «die schweizerische Steuerhoheit gefährdet», sagte die SVP-Vizepräsidentin. Denn mit den neuen Bilateralen Verträgen, die geplant sind, bekomme das EU-Subventionsrecht auch für die Schweiz Verbindlichkeit. Die EU könnte, so Martullo-Blocher, nach Abschluss der Abkommen plötzlich reklamieren, dass die tiefen schweizerischen Firmensteuern eine staatliche Subvention im Wettbewerb mit der EU seien und deshalb von Brüssel angegriffen werden könnten. «Die EU könnte der Schweiz verbieten, eine eigene Steuerpolitik zu betreiben», sagte sie.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Zweitens sei die Gefahr der Zuwanderung von arbeitslosen EU-Bürgern in die Schweizer Sozialwerke nicht gebannt, so die SVP-Aussenpolitikerin. In den Vorverhandlungen «wurden zwar neue Ausnahmen definiert», bestätigte Martullo-Blocher. Aber das neue, geplante Vertragswerk würde zu schnelleren Niederlassungen von EU-Bürgern führen, weil die Frist von 10 auf 5 Jahre verkürzt würde. Damit hätte eine grössere Zahl Anspruch auf Sozialgelder. Die Schweiz müsste beweisen, dass arbeitslose EU-Bürger «die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet haben», damit man ihnen die Niederlassung verweigern oder entziehen könne. Das sei enorm schwierig. Damit seien steigende Sozialkosten garantiert, so Martullo-Blocher.

Und drittens kritisiert Martullo-Blocher, dass mit der Verhandlung über neue Verträge den Gewerkschaften viel zu grosse Konzessionen gemacht würden. «Hier erkaufen Sie sich unter Umständen grosse Probleme», warnte sie die Gewerbevertreter.

Das vorläufige Vertragswerk sei «mit wenigen punktuellen Ausnahmen für das Gewerbe nicht befriedigend», sagte die SVP-Vize. Und forderte den Gewerbeverband auf, in der Vernehmlassungsantwort weitere Verhandlungen abzulehnen. «Wenn man schon von diesen Problemen weiss, muss man auch keine Schlussverhandlungen führen», schloss Martullo-Blocher.

Cassis: «Keine fremden Richter»

Applaus bekam Martullo-Blocher allerdings nicht. Ihr Votum wurde kühl aufgenommen. Ein Teil der Abwesenden beklagte sich später über die Vereinnahmung des Anlasses durch EU-Gegner, etwa auch durch den Blocher-Adlatus Stephan Rietiker und den Tagesmoderator und «Nebelspalter»-Chefredaktor Markus Somm. Letzterer äusserte sich im Podium unkontrolliert und in emotionaler Weise negativ über die Resultate und putzte Äusserungen von EU-Verhandlungsbefürwortern pauschal als «falsch» ab.

Grossen Applaus erhielt ein paar Stunden später hingegen Ignazio Cassis. Der Schweizer Aussenminister hielt eine Grundsatzrede. Er sprach zwar nicht von «roten Linien» des Bundesrates. Er verwendete aber den Begriff «Verhandlungsleitlinien», was in diesem Kontext ungefähr dasselbe ist.

Cassis konterte, der Bundesrat werde mit dem Verhandlungsergebnis «keine Unterwanderung der Sozialsysteme» in Kauf nehmen.

Auch werde der Bundesrat «keine Aushebelungen unseres Rechtssystems» tolerieren. Er sagte explizit, es werde «keine fremden Richter» geben. Damit konterte Cassis auch Martullo-Blochers Gegenargument, dass die EU sich über die EU-Subventionsvorschriften Einfluss auf die Schweizer Steuerpolitik verschaffe.

Die Forderungen nach einem Abbruch der Verhandlungen lehnt er ab. «Es ist unabdingbar, dass unser Land den bilateralen Weg mit der EU stabilisiert und weiterentwickelt», sagte Cassis.

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